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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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schnürt er alles zusammen, seine alten Manuskripte, Hefte, Tagebücher und Aufzeichungen. Den «Papierballast eines Lebens», wie er lachend bemerkt, er füllt zwei große Koffer. Die Koffer werden zum Auto gebracht, und das Auto bringt sie ins Berliner Literaturarchiv. Die Operation beanspruchte nicht einmal eine volle Stunde. Davor hatte er so getan, als höre er sich die Konditionen an, die ihn in Wahrheit gar nicht interessierten, und alles unterschrieben, was er unterschreiben sollte. Er versucht, den Vorgang auf einer rationalen Ebene erscheinen zu lassen: Für Cynthia zum Beispiel führt er des längeren aus, warum die Manuskripte in einem gut eingerichteten Archiv «in größerer Sicherheit» seien, als wenn man sie «zu Hause herumliegen» lasse. In Wirklichkeit aber ist er sich im klaren über die Bedeutung seiner Handlung. Er weiß, daß er damit im wesentlichen seine Vergangenheit abgeschlossen – nein, nicht abgeschlossen: liquidiert hat. Jetzt versteht er, was ihn wirklich leitet: «die Leidenschaft der Liquidation», schreibt er, «deren Grund nicht zu benennen ist». Man fragt ihn, ob er möchte, daß später eine Ausstellung mit den Manuskripten arrangiert werde. Nein, antwortet er, das möchte er nicht. Er will die Spuren seines mühseligen Lebens, diese in Mühsal und Kampf entstandenen Manuskripte nie wiedersehen.
     
    Aus dem Ungarischen von Adan Kovacsics

Garten der Trivialitäten
    2003
    5 . Dezember 2003  Wie es scheint, ist es nötig, ein Trivialtagebuch zu führen. Nicht sicher, ob es wirklich so ist.
    Also: Jetzt ist früher Morgen, 2 Uhr 48 . Vorgestern Lesung in Dortmund. Umsonst hatte ich mir Bücher mitgenommen, ich schlief fast die ganze Fahrt über im Zug. Ein Chauffeur erwartete uns, ein untersetzter Mann mit dröhnender Stimme, er führte uns zu Fuß vom Bahnhof in das nahe gelegene Harenberg-Zentrum, einem etwa 28 stöckigen Hochhaus. Dort wartete ein Fotograf, der mich ungefähr eine halbe Stunde lang quälte; ein unfähiger Mann, wie es schien, ich langweilte mich ungemein. Dann brachte uns das Auto ins Hotel, wo uns eine große und angenehme Suite erwartete. M. und ich hätten gern etwas geschlafen, doch nach anderthalb Stunden erschien der Chauffeur wieder und brachte uns ins Harenberg-Zentrum zurück, wo uns Herr Harenberg selbst entgegenkam, ein eleganter, außerordentlich zuvorkommender und sympathischer Mann. Konversation mit mehreren Damen und Herren in einem Büro im 18 . Stock; ich verstand von allem nur die Hälfte. Was mir in dem Büro auffiel, waren die Gemälde, über deren Herkunft und Schöpfer mich Herr Harenberg bereitwillig informierte. Unter anderem eine Büste: Pasolini als Christus. Nun gut. Danach Lesung im Auditorium, die ersten 30 Seiten aus
Liquidation
, zwischendurch schlief ich vor Müdigkeit fast ein, zum Glück bemerkte es außer M. niemand. Großer Applaus, anschließend signierte ich mindestens eine dreiviertel Stunde lang meine Bücher. Dann festlich gedeckter Tisch in einem großen Glaskäfig, der in seiner geometrischen Diagonale auf ein modernes Treppenhaus hinausging; eigentlich eine überwältigende Architektur. Neben mir saß der Oberbürgermeister, ich bewunderte sein elektronisches Notizbuch, und er bemühte sich, mir zu zeigen, wie es funktioniert. Ein solches in der Jackentasche zu tragendes, jederzeit einschaltbares Notebook hätte ich auch gern. Müde zurück ins Hotel, M. meinte, sich erkältet zu haben, sie fand, wir seien zu lange geblieben – sie war ein wenig nervös, gereizt, weil sie die Sprache nicht versteht, die man um sie herum spricht. Das wird, fürchte ich, noch die Quelle vieler Konflikte werden.
    Am nächsten Mittag zurück nach Berlin; um halb vier kamen wir in der Wohnung an, um fünf traf Paola Traverso ein, die uns mit ihrem Auto zur Freien Universität transportierte; angenehme Intellektuelle, der Institutsleiter und ein, zwei Damen, die eine hatte ein besonders angenehmes Gesicht. Intellektuellengespräche im Kreis schöner Frauen; vor der Lesung mußte ich die Toilette aufsuchen, offenbar leide ich an einer vergrößerten Prostata, die mich zu häufigem Wasserlassen zwingt. Danach ein aulaartiger Saal, ich las
Die exilierte Sprache
, vor einem hauptsächlich studentischen Publikum. Am Ende
standing ovation
. Obwohl ich müde vorgetragen hatte, für einen Moment war ich sogar eingenickt und verlor kurz den Faden, habe den Schluß aber dann lebendig und einfühlsam gelesen. Anschließend Abendessen im Alten

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