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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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nickte zwar gelassen, doch er wusste gar nicht, warum er diese Geschichte überhaupt erzählte. Er redete jedoch weiter, obwohl er ein ungutes Gefühl verspürte, das er sich nicht erklären konnte: »Im Kino sag ich also, mir hat einer die Vorfahrt genommen. Dafür kriege ich noch bezahlten Urlaub für zwei Tage! Mein Chef bringt mich persönlich ins Krankenhaus, erschrocken über mein verbeultes Gesicht!«
    »Und?« Der Baske drehte sich halb zu ihm um.
    »Ja, und?« Güni drehte sich ganz um.
    Er runzelte langsam die Stirn. Er verstand, was er da gehört hatte, und Tommy begriff plötzlich, er hatte einen großen Fehler gemacht. Was hatte er da bloß erzählt? Und warum?
    »Und, und, und, Güni !«, versuchte Doppelbläser , sich zu retten: »Es gibt immer mehrere Wege, aber es gibt nur einen Standpunkt, Güni ! Darum geht’s doch! Der Horizont ist vom eigenen Standpunkt aus immer zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Kilometer weit weg, egal, wo man sich auf See gerade befindet. Darum geht’s doch! Genau darum!«
    »Schwätzer!«, sagte der Baske und drehte sich wieder zur Back. Er schüttelte den Kopf und sah nach unten.
    »Hosenscheißer!«, sagte Güni .
    »Niemand ist, was er ist! Habt ihr doch gesagt! Und ja, es stimmt!«, sagte Tommy nervös. Er wurde rot, als Güni bedächtig sagte: »Heulen wie ein Weib? Ist das deine Masche? Willst du etwa so durchs Leben kommen?«
    »Jeder muss überleben, wie er kann!«, sagte der Baske : »Anders geht es nicht. – Und zur Not kannst du immer noch betteln gehen. Ist doch klar.«
    Güni schüttelte den Kopf und sah Tommy fest in die Augen: »Heul uns bloß nie was vor! Heult wie ein Weib! Und will damit noch angeben! Was sind das nur für Männer von morgen? Was ziehen unsere Frauen da bloß heran?«
    »Alles ändert sich«, sagte Tommy leise. Er bereute jetzt schon, der Situation unterlegen gewesen zu sein. Jede andere Geschichte! Warum hatte er auf ihre Geschichten ausgerechnet mit dieser antworten müssen? Was war da nur in ihn gefahren. Für nichts! Der ganze gute Ruf dahin! Er drehte sich um und ging schnell zum Schott, als er den Basken rufen hörte. Tommy blieb stehen und wartete.
    »Hat der Typ sich gemeldet, wegen dem Lack?«, fragte der Baske hinter der Schulter hervor.
    »Nö!«
    »Und das Fahrrad? Versicherung? Diebstahl?«
    »Yepp!«
    »Dann ist die Strategie ja aufgegangen. Auch wenn ich es nicht verstehe«, meinte der Chefharpunier: »Auf Mitleid machen, das hatte früher nichts mit Männern zu tun! Gar nichts! Es ändert sich an Land wohl wirklich was! Wird Zeit, dass wir uns mal wieder um unsere Söhne kümmern, was, Güni ?«
    Der Aushilfsmatrose nickte nachdenklich, ehe er antwortete: »Wäre vielleicht nicht die schlechteste Idee, mal eine Fangzeit zu Hause zu bleiben. – Soll einer verstehen! – ›Jeder, wie er will – und alle, wie sie müssen!‹ Oder was?«
    Er sah Tommy ernst an, der aber nur nickte und machte, dass er aus der Messe kam. Verdammtes Gelaber! Wie hatte er sich nur hinreißen lassen können? Nur, weil die was aus ihrem Leben erzählt hatten! ›Fick die Henne und töte den Hahn! Peinlich!‹, dachte er: ›Die sind doch das Prügeln gewöhnt, und ich erzähle ihnen was vom Abheulen! Na klar, die leben doch noch im letzten Jahrhundert und kapieren gar nicht, was abgeht! Und ich stehe da und will ganz cool sein. Oh Mann, hoffentlich haben die Typen ein kurzes Gedächtnis.‹
    Er ging freiwillig zum Bug, öffnete die Luke und arbeitete weiter daran, die Vorlast aufzuklaren. Der Sturm flaute ab, viel seltener flogen die Metallgegenstände und die vielen Bündel Tampen und Seile durch den Raum. Tommy arbeitete hart, räumte Stück um Stück die lange, schmale und dunkle Last auf. Ihn kümmerte der Seegang nicht, der immer weniger wurde. Ihn machte nur die Stille nervös. Die letzten Wale waren verarbeitet, aber kein Ruf von der Brücke: ›Walschule in Sicht!‹ Und kein Ruf vom Ausguck: ›Da bläst er!‹
    Waren die Vorgaben erfüllt? Durften sie nicht weiter verölen? Er war wütend, in diesem Augenblick war er auf die Fangquote oder auf irgendetwas anderes wütend. Tommy sah sich um, fand aber keine Unordnung mehr und fluchte auf sich selbst, zu schnell gewesen zu sein. Arbeit musste man sich einteilen, wenn sie reichen sollte.
    Er stieg nach oben, verschloss die Luke wieder und ging ins Deck, wo er seine Schulsachen auspackte und einige der Berichte für die theoretischen Ausbilder schrieb. Die letzten Eintragungen in das

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