Letzte Fischer
Ausbildungsbuch waren von vor zehn Tagen. Er füllte die Spalten aus, setzte hier und da eine Anmerkung, um später alles vom Sir gegenzeichnen zu lassen.
Danach blätterte er das schmale Buch durch, kam auf vierundzwanzig Tage Seefahrt und konnte darüber schon wieder lächeln. Die anderen Azubis in seiner Klasse waren noch nicht volljährig, die saßen noch im Trockenunterricht fest, aber er hatte schon vierundzwanzig Tage Walfang auf dem Buckel!
Was kümmerten ihn da die blöden Proleten hier? Die war er in ein paar Tagen sowieso los! Das Buch hier, die Unterschriften des Sirs , der jeden Tag gegenzeichnen musste, das war doch sein wahres Gold! Das war doch, was blieb!
Und er hatte, wer hätte das gedacht, auf der Rimbaud die Liebe gefunden, die erste. Luise! Eine ausgebildete Kampfschwimmerin, die das Fangschiff vor Greenpeace bewachte; nicht schlecht, Herr Specht. War er hier nicht gleich zwei Mal zum Mann geworden? Er hatte die Härte des schwersten Jobs der Welt überstanden, und er hatte die Weiche der liebsten Frau dieser Welt erfahren, ganz recht, er war schon so ein Doppelbläser , verdammt noch mal!
Der Spitzname passte doch! Was als Verarschung gedacht gewesen war, hatte er in eine Belobigung umgewandelt. So veränderte man eben die Welt! Man tauschte die Vorzeichen ganz einfach aus.
Zeit war etwas, das man anderen stahl und das man selbst nicht aus der Hand gab!
Tommy freute sich zum ersten Mal auf die Heimkehr und legte das Ausbildungsbuch wieder in den Spind. Die Gesichter der Mitschüler und der Clique. Und das Gesicht des Vaters! Versonnen grinste er und musste zweimal hinhören, ehe er richtig verstand: »Da bläst er!«
Erleichtert, wie wohl alle Männer an Bord, seufzte er auf und zog sich die Arbeitsklamotten an. Als er schon fast fertig war, kam der Baske herein, und Tommy konnte es nicht unterdrücken, er musste des Basken Worte einfach sagen: »Beeil dich, Mann, mach hin!«
Der Chefharpunier sah ihn erstaunt an, ehe er sagte: »Auf den letzten Metern noch frech werden?«
Dann gab er dem Jungen einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter: »Mir ist egal, was du an Land treibst! Nur was du hier tust, das zählt! Und was du hier tust, das kann sich sehen lassen! Du halber Hahn , du!«
Tommy nickte und sagte: » Doppelter Hahn , bitte schön! Wenn schon, denn schon!«
Er half dem Decknachbarn und zweitmächtigsten Mann an Bord, sich arbeitsfein zu machen. Zusammen bekamen sie die vielen Druckknöpfe schnell zu.
»Noch acht Wale, dann ist mal wieder Feierabend!«, sagte der Baske : »Dann geht’s heimwärts!«
›Acht Wale á vierzig Minuten‹, rechnete der Junge: »Nicht mal mehr ein Arbeitstag, was? Da können wir es ja langsam angehen lassen? Oder?«
»Machen wir auch«, sagte Güni , auf dem Flensdeck stehend: »Nur noch zwei Wale pro Tag, wobei wir schon wieder Richtung Spitzbergen schippern. – Du hast deinen ersten Törn bald überstanden, fünf Tage, schätze ich, du Doppelbläser , du!«
»Du, Güni , eines wollte ich dich noch fragen«, überwand Tommy sich: »Kannst du meine Geschichte vergessen? Sie war saublöd? Das muss wohl an dem ewigen Seegang liegen, dass man sich solche Sachen ausdenkt.«
»Ausdenkt?«
»Ja, klar! Was dachtest du denn? Dass ich wirklich? Mann, ich habe doch gar keine Fahrerlaubnis«, sagte Tommy, grinste, aber nicht sehr überzeugend.
Güni blieb skeptisch, als er sagte: »Na ja, ist ja eh deine Sache, was kümmert mich das Geschwätz von daheim.«
»Danke, alter Haudegen ! Du bist doch in Ordnung. Weißt du, mein Vater sagt immer, lasse jedem seinen Glauben, dann wird die Welt schon nicht untergehen. Dann ist dieser Ahab für dich eben ein Missionar und Teufelsjäger, und der weiße Wal ist für dich eben ein Teufel! Ist in Ordnung für mich, wollte ich dir nur noch mal sagen. Solange du mich nicht missionieren willst.«
»Nicht, dass mich deine Meinung interessiert. Interessiert mich überhaupt nicht, aber trotzdem: Danke! So, und nun lass uns diesen Burschen da mal verölen!«
Es war ein langsames Arbeiten. Der Wind war eingeschlafen. Gemächlich tuckerte die Rimbaud Richtung Südost. Die Männer spürten plötzlich all die Wehwehchen, die sie in den letzten Tagen verdrängt hatten. Erfrierungen, Quetschungen, Verstauchungen, und einigen Männern kam es so vor, als wäre auch die Müdigkeit eine Krankheit, die sie befallen hatte. Ununterbrochen tränten ihnen die Augen beim Zerfetzen der letzten Tierleichen. Sie hieben und
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