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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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auf, so könne es leicht geschehen, dass ein gewisser Captain Jack Sparrow das Ruder in die Hand bekomme. Opernsänger schnüffelte, hob den Kopf um einige Millimeter, schniefte und erkannte ganz deutlich einen fremden, einen chemischen Geruch. Dieser Geruch erinnerte ihn an etwas. An eine Fährfahrt. Mit einer Frau. In seinem Arm. Und in ihrem Gesicht – eine Brille!
    Es war der Geruch eines Brillenputztuches. Aber ganz sicher! Hundertprozentig, da brauchte Opernsänger noch nicht einmal die Augen zu öffnen.
    Uralter Richard putzte sich die Lesebrille! Keine Frage.
    Welch kostbare Erinnerung aber! Opernsänger dachte an das Ende jener Fahrt mit der Fähre zurück. Was für eine herrliche Zeit das gewesen war! Er atmete tief ein.
    »Ich danke dir, alter Mann«, sagte Opernsänger und hörte uralten Richard antworten: »Bitte, bitte! Wofür auch immer.«
    Jetzt blinzelte Opernsänger doch in die Sonne, die das wellenlose Meer mit vierzig Grad Celsius aufheizte, und suchte wenig später in seinem Seesack nach einer grünen Gurke. Er brach sie in drei Teile, und dann standen sie da, die Hochseefischer, und nagten an dem Gemüse, dessen frischer Geruch die vor ihnen liegenden Tage vergessen ließ.
    Sie sahen in die Ferne, in der sich nichts regte. In der es flimmerte und flirrte.
    »Der verdammten Flaute müsste mal einer die Fresse polieren!«, sagte Opernsänger : »All die Perlmuttzähne müssten mal rausgeschlagen werden. Mit denen könnte man dann gut Fußball spielen!«
    »Es geht schon wieder los!«, sagte uralter Richard zu Robert, der kauend nickte: » Opernsänger komponiert schon wieder! Die Farbe wirkt schon wieder! Und der zweite Akt? Gibt es noch einen zweiten Akt?«
    »Es gibt immer einen zweiten Akt: Gefängnisse sind so ähnlich wie Schiffe. Im Inneren drängen sich Männer von jeglichem Schlag, und ein paar schlendern oben frei herum. Aber allen ist klar: Es geht nach unten! – Und dann Arie: Du schreist wie ein Fisch!«
    Uralter Richard lachte lauf auf: »Wie ein Fisch schreien, das ist gut!«
    Opernsänger trat einen Schritt von der Reling weg, deutete einen Diener an und bedankte sich zurückhaltend: »Großartig, dieser Applaus! – Vorhang, große Pause.«
    »Genau, Pause! – In der Messe ist noch Bierausschank!«, sagte Robert und spuckte ins Meer.
    »Wie lange?«, fragte Opernsänger , der plötzlich den Sinn der Farbe Grau zu verstehen meinte: Es sei nicht ihr Anblick, der wichtig sei, es sei ihr einzigartiger Geruch. Dieser Eigengeruch setze die buntesten Phantasien frei. Phantasie sei die Mischung aus Schwarz und Weiß! Er grinste und dachte: ›Wieder was gelernt!‹
    »Bis um zwanzig Uhr. Wir fahren erst um Mitternacht raus«, sagte uralter Richard : »Mit dem Ausladen dürften sie auch noch ein paar Stunden beschäftigt sein.«
    »Dann lasst uns mal einen guten Schluck nehmen, um uns auf die verdammte Dürrezeit vorzubereiten«, meinte Opernsänger und hob seinen Seesack auf. Den Gurkenstummel warf er über Bord.
    Die Seesäcke nahmen sie mit in die Messe und warfen sie gegen eine der Wände, an der schon einige andere Säcke lagen. Etwa die Hälfte der Besatzungsmitglieder war schon da. Robert wusste, jetzt war niemand in seinem Deck. Diese kostbaren Stunden vor dem Auslaufen verbringe jeder Fischer in der Messe. Er grüßte stumm, indem er auf alle besetzte Backs klopfte, und nahm die erste Runde auf seinen Zettel.
    Er stellte den beiden Kollegen die Litergläser frisch Gezapftes hin und setzte sich zu ihnen.
    »Und Korn?«, fragte uralter Richard .
    »Schon drin.«
    »Prima!«
    Das erste Bier könne man auf ex austrinken, das sei allgemeine Praxis, überall dort, wo Männer beieinander sitzen, hatte uralter Richard einmal gemeint. Seitdem hielten sie sich sklavisch daran. Dass auf dem Grund des Bierglases ein Schnapsglas stand, dessen Inhalt sich schon lange mit dem Bier vermischt hatte, wussten sie und tranken daher das letzte Drittel vorsichtiger.
    Schließlich stand ihnen das kleine Glas auf den Zähnen, als ihnen der letzte Tropfen des wieder einmal ersten Glases herunterrann. Sie seufzten, und uralter Richard erhob sich, um eine neue Runde zu holen. »Männer berühren sich eben nicht, sie haben ja Biergläser, mit denen sie anstoßen können!«, dachte er laut.
    »Ja, ja!«, sagte Robert. »Beeil dich lieber! Die Schlange wird nicht kürzer!«
    »Ich jedenfalls habe schon genug Überraschungen erlebt«, meinte Opernsänger , dem es unter Deck wieder ein wenig klarer im Kopf

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