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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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war für sie der erste Traum dieser Art gewesen, und genau das bereitete ihr jetzt auch Sorge. Was bedeutete dieser Traum? Sie drehte den Seestecher schärfer, fand aber wieder nur den dunklen Leib eines Wals, an dem sich das Gischtwasser brach.
    » Berg des Schicksals hatte es damals auf vierundsechzig seetüchtige Dschunken gebracht«, sagte Thomas: »Dazu kamen noch zwölf andere Schiffe. Bis zum Ende des Weltkrieges beherrschte sie die Bucht von Bias, durch die eine der wichtigsten Seestraßen führte. Sie griff immer nur kleinere Frachter an, ihre Piratenschiffe hatten Kanonen von Bronzemörsern aus der portugiesischen Kolonialzeit, Festungsgeschütze von Napoleon und Maschinengewehre der Roten Armee an Bord. Sie kam nie an Land, lebte an Bord ihrer Schiffe immer einfach und in Soldatenuniform. Ihr Ruf als hervorragende Schützin war fast so gut wie der als glänzende Geschäftsfrau. Sie plagte sich nicht groß mit den Gütern der Frachter ab, sie kidnappte die Besatzungsmitglieder und erpresste Lösegeld im ganz großen Stil. Die Gefangenen wurden grausam misshandelt, und genau das sollte sich auch herumsprechen. Wurde das Lösegeld auch nach der zweiten Mahnung nicht gezahlt, wurde den Familien ein abgetrennter Finger zugeschickt. Oder ein Ohr. Zahlten die Verwandten der Gefangenen dann immer noch nicht, wurden die Opfer erstochen und nach Hause geschickt. Es gab ja genug andere«, sagte Thomas: »Kann man nur froh sein, wenn man mit der lieben Verwandtschaft nicht verkracht ist.«
    Luise nickte und hörte Thomas weiter zu, der jetzt von der anderen großen und letzten Piratin sprach: » Goldene Anmut , das war die Schönste. Für ihre Schönheit war sie berühmt. Sie kaperte an den Küsten des Ostchinesischen Meeres. Ihre Flotte, die sich dezentral in den vielen Grotten versteckte, war schon motorisiert. Goldene Anmut war die kaltherzigste Frau, die die See je gesehen hat. Besonders hasste sie alles, was von Westen her kam. Nachdem sie achtunddreißig ins Zuchthaus kam, soll sie wenig später freigekommen sein. Zuletzt soll man sie in Kanton gesehen haben, wie sie Reiskuchen verkaufte.«
    »Siehst du«, sagte Luise: »Dann ist Wung Lee nicht die Enkelin vom Berg des Schicksals , sondern von Goldener Anmut . Dann habe ich das im Traum nur verwechselt. – In Asien gibt es doch seit jeher mehr weibliche als männliche Piraten. – Warum sollte sich das geändert haben?«
    »Keine Ahnung«, sagte Thomas und schwieg. Er lehnte sich zurück und überließ seine Chefin ihren Gedanken.
    Es sei nicht nur der Kampf mit dem Basken gewesen, bei dem sie Tommy habe beschützen müssen, es stecke noch mehr dahinter, weshalb sie sich ausgerechnet jetzt an diesen Traum erinnere. Er machte sie nervös. Dazu noch das Gerede von Thomas über diese Asiatinnen! Würde er doch bloß nicht so viel wissen! Zu fast jedem Thema präsentierte er Fakten, die er gelesen hatte, aber was sagten diese Fakten schon aus? Gab es nicht so schon genug Informationen in der Welt? Diese große Sinnlosigkeit, sich ständig über alles zu informieren und fraglos informiert zu werden, Luise glaubte, dies sei die Geißel der modernen Menschheit. Am Ende wisse niemand mehr etwas, weil nichts mehr selbst erkannt oder erfahren worden sei, aber das sei der Information alles egal.
    Sie sagte: »Ich habe Robert immer die wichtigsten Regeln eingeschärft: Nach Einbruch der Dunkelheit hat stets ein Mann Wache in alternierendem Turnus auf dem Achterdeck zu halten. Abschreckungsmaßnahmen auf dem Achterdeck: Mindestens vier Löschkanonen sind ständig im Einsatz. Dummys werden an der Reling festgelascht. Zwei der Feuerwehrschläuche sind stets in Einsatzbereitschaft. Maßnahmen gegen Enterungsabsichten von Piraten: Zwei Trockenfeuerlöscher sind stets einsatzbereit zu halten. Das Gleiche gilt für Drahtscheren. Die Crew hält außerdem Messer bereit, um eventuelle Enterleinen zu durchschneiden. Alle Maßnahmen dienen in erster Linie dazu, Überfälle zu vermeiden oder abzuwehren. Sind Piraten erst einmal an Bord, soll jedes Blutvergießen vermieden werden. Niemand spielt den Helden. – Hoffentlich erinnert er sich daran, wenn er in so eine Situation kommt! Hoffentlich!«
    »Weil das riesige Seegebiet vor Somalia nicht den Somalis gehörte, fischten da über Jahrhunderte hinweg die Russen, Spanier und Engländer. Sie waren den heimischen Fischern übermächtige Konkurrenten, und diese Fischer begannen irgendwann, die Fremden zu überfallen, weil sie selbst nicht

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