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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Entführer oder zum Gefängniswärter aufbauen. Das geht am besten durch Reden. Man soll sich dem Feind so interessant wie möglich machen. Mit Geschichten, mit Lebensweisheiten, mit Fragen«, sagte Luise: »Aber Erzählen ist wohl noch etwas anderes?«
    »Es ist zweckfrei. Ich habe keine Feinde. Ich habe nur gehört, dass der erste erzählende Text von einem Fischer verfasst worden ist. Heute soll er in der Eremitage in St. Petersburg zu sehen sein. Darin wird von einem Schiffbruch und von der sagenhaften Insel des ka erzählt, weißt du, einfach erzählt, nicht als Gleichnis oder Belehrung oder so, einfach nur erzählt. Die ersten Erzähler waren Fischer, und auch der letzte Fischer wird ein Erzähler gewesen sein. Er wird vom Ende der Fischerei erzählen.«
    »Das ist also dein Lebenstraum?«
    »Ja, wenn ich genug Erfahrungen auf See gemacht habe, wenn ich alles über den Fischfang weiß, dann erzähle ich es der Welt, damit nichts verloren geht. Okay, also doch nicht ganz zweckfrei. Wenn es den Fischfang nicht mehr gibt, sondern nur noch Fischfarmen, dann wird es immer noch die Romane über den Fischfang geben. Die Romane des verrückten Tommy Rahr, genannt Doppelbläser , der so dumm war, sich auf seiner ersten Reise in seine Beschützerin zu verlieben.«
    »Aus dir wird ein großer Mann werden, Tommy!«
    »Es gibt keine großen Männer, es gibt nur Männer.«
    »Während meiner Ausbildung wurde uns aber auch gesagt, dass das aktive Zuhören wichtiger Bestandteil des Redens ist. Das konntest du dann ja noch nicht üben, wenn du beim Erzählen immer für dich warst, mein Liebster.«
    »Wie geht das?«
    »Sich interessant machen, charmant sein, zuvorkommend; versuche, Verbindungen zu schaffen, Ähnlichkeiten herauszufinden. So schafft man es doch durchs Reden, Beziehungen aufzubauen. Beziehungen funktionieren über Gefühle. Gefühle zeigen und Gefühle provozieren. Und immer der Herr des Gespräches zu bleiben, das heißt, jederzeit fähig zu sein, Gefühle zu Gedanken zu machen, die man zur Not durchstreichen kann. So beherrscht man die Gefühle, sonst beherrschen sie dich, und du wirst konfus.«
    »Reden als eine Art Handlung? Heute arbeitet man nicht mehr mit den Händen, sondern mit dem Mund?«
    »Vielleicht, vielleicht bist du ja wirklich auf dem richtigen Weg in die Zukunft. Bald braucht kein Mensch mehr Handarbeiter. In Europa jedenfalls. Artikulierte Gefühle werden immer wichtiger, und das ist ja ein Naturgesetz: Wenn du Gefühle zeigst, dann macht sich auch das Gegenüber nackig. – Das ist immer so.«
    »Man muss reden lassen, wenn man reden will?«
    Luise nickte und wunderte sich immer mehr über diesen Jungen; wie anders als Thomas doch, der doch immer nur tote Theorien aus Büchern zur Verfügung hatte!
    Sie sagte: »Rede, wenn du leben willst. – Die letzten Männer in ihren alten Rollen, deine heißgeliebten Hochseefischer, die müssen das Reden lernen, wenn sie auf dem Kontinent nicht untergehen wollen. Wenn sie weiter gebraucht werden wollen, müssen sie das Reden und Gegenreden lernen. Das Schweigen war gestern, das Erleiden war gestern, jetzt kommt das Reden. Arbeit als Freizeitbeschäftigung, als Hobby, mit dem man Geld verdient. Wer leben will, muss reden können, wer überleben will, der muss mit Worten überzeugen können, nicht mehr mit Taten. In Europa müssen Erzeugnisse nur noch vermarktet werden, hergestellt werden sie ganz woanders. Tja, und das Vermarkten haben Frauen ja schon siebenhunderttausend Jahre lang geübt, grob geschätzt. Wenn ›Männer vom alten Schrot und Korn‹ nicht aufholen, dann werden sie zum neuen Schrott und greifen zum Doppelkorn. Frauen haben schon immer die Marktplätze der Welten beherrscht. Bald aber gibt es keine Werkstätten mehr, um Geld zu verdienen. Nur noch Märkte. Am Fließband zu stehen, ist bald ein Hobby, das man sich nur leisten kann, wenn die Frau einen gut bezahlten Marketingjob hat. Kohlekumpel, Stahlkocher, Hochseefischer, all das wird ja jetzt schon subventioniert.«
    »Aber das Schweigen, das Schweigen unter Männern, das Schweigen während der Arbeit, das hat doch so viel Gutes gestiftet. Das Schweigen ist das höchste Gut der Fischer. Das Schweigen ist die Krönung der gleichgeschlechtlichen Freundschaft.«
    »Über Bord damit!«
    »Niemals!«
    »Doch!«
    »Dann springen die Fischer hinterher. Ich kenne sie. Sie werden verrückt, wenn sie andauernd Worte um sich herum haben.«
    »Ich glaube, all deine Geschichten über die letzten

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