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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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genug Fisch abbekamen, der vor ihrer Haustür schwamm. Dazu kamen die Italiener, die Mafia. Sie hat in diesem Niemandsgebiet riesige Mengen von Giftmüll abgeladen. Das machte die Somalis natürlich noch wütender, und heute gibt es keinen Staat Somalia mehr, keine Regierung und keine Staatsbank, nur Hunger und Totschlag. All das hat aus den somalischen Fischern somalische Piraten gemacht!«, sagte Thomas, und Luise fragte: »Was soll mir das sagen? Behalte doch deinen Mist für dich. Er interessiert mich nicht!«
    Überrascht sah Thomas zur Seite, dann nickte er; es sei sowieso gleich Wachablösung. Dann sei der Dienst geschafft.
    Luise aber stellte den Seestecher erneut schärfer. Ganz deutlich konnte sie am Horizont zwei Positionslichter ausmachen, rot und grün, als die Zwillinge aufs Dach kamen, um die letzte Wache zu übernehmen.
    »Positionslichter in Nordnordost. Kleines Schiff, vielleicht ein Küstenfischer, vielleicht aber auch ein Schlauchboot«, sagte Luise zu Bolek, ehe sie hinter Thomas vom Dach stieg.
    »Weißt du«, flüsterte Tommy Luise auf ihrer Koje ins Ohr, »es gibt da nicht nur die Libellen, die einen waaghalsigen Liebesakt vollziehen. Bei den Walen ist es ähnlich kompliziert.«
    Er umarmte sie, schmiegte sich an ihren Körper und ignorierte Thomas, der leise schnarchte. Der Walfänger wiegte sich in der Dünung, und Tommy war glücklich, hatte er doch den Kopf seiner Freundin auf der Brust und den eigenen auf dem freien Arm. Er sah zur Metalldecke, die sich nur wenige Zentimeter über ihm befand. Jemand hatte aus Aktbildern sorgfältig die Frauenfiguren geschnitten und sie dort angeklebt. Es waren großbrüstige Frauen mit breiten Hüften, die alle keine Haare, Füße und Hände mehr hatten. Tommy sah zur Seite.
    »Weißt du, es gibt da auch die Buckelwale«, sagte er, »die ziehen vom Nordpol bis weit in den Süden, wo sie sich paaren. Sie nutzen dabei die Rotationskräfte des Planeten. Weißt du, für sie ist der Ort das Wichtigste. Erst der richtige Ort versetzt sie in Stimmung. Und das ist der Scheitelkreis der Sonne. Sie brauchen den richtigen Geschmack des Wassers und die richtige Temperatur. Die richtige Kontur des Meeresbodens, eben die Gräben, die es dort gibt, die Ebenen und Gewölbe, die die See in bestimmte Schwingungen versetzen. Die Wale brauchen die höchste Erhebung des Atlantikrückens, der zweimal so breit wie die Anden ist und sich über zehntausend Meilen von Island bis nach Patagonien erstreckt. Wo er sich mit dem Äquator kreuzt, wo die Risse der Erdkruste die richtige Temperatur erzeugen, da schimmern ihre Heckwellen, groß wie Schiffe, im Kreis. Dabei ist selbst die Topographie der Korallenriffe wichtig, weißt du, die Buckelwale haben nur den einen Ort, an dem sie sich paaren. Seit über fünfzig Millionen Jahren! – Und erst wenn der Mond für sie richtig steht, wenn sein Einfluss richtig ist, dann navigieren sie mit einem Flüssigkompass im Hirn um diese Stelle herum und werden zu Kindern. Ein sagenumwobener Ort, der von den Ripptiden abgeschnitten ist. Dort hat derjenige Walbulle den größten Erfolg, der das betörendste Lied singt. Er fesselt das Weibchen mit seinem Lied! Und dabei muss er noch die wildesten Körperbewegungen vollführen. Wie ein Messer durch die Gischt. Wie ein Bohrer um sich selbst. Wie ein Brett auf der Welle. Kopfstand unter Wasser, dabei mit der Schwanzflosse lustig wedeln. Herausschießen aus der See und mit der Fluke die Oberfläche krachend peitschen. Sich überschlagen. Beim Springen die Figuren zeigen, die Bodenturner so gut können. Sich flatternd durchs Wasser schlängeln, wie eine Ente in der Luft. Aneinander vorbeigleiten, nachdenklich plätschern. Und die ganze Zeit eindrucksvoll singen. Dabei bewerten die Walweibchen immer wieder die Geschmeidigkeit der Bewegung des anderen, prüfen dessen Gefühl, sanft und kritisch mit der Schnauze. Das Werben dieser Riesen ist ein sehr feinsinniges, behutsames Spiel. Weißt du, Walbullen, die können ja ihr Teil nach freiem Willen erigieren. Wenn sie wollen, schießt es aus der Bauchfalte. Sie präsentieren es im erigierten Zustand, dann verbergen sie es wieder. Und dabei ist so ein Schwanz bis zu drei Meter lang, da muss man natürlich sehr diszipliniert sein, doch schließlich nähern sich die beiden Wale, die sich ausgespäht haben, fächeln einander zu, und dann streicheln sie sich zärtlich mit den Brustflossen. Unter Wasser öffnen sich die gewaltigen Schamlippen, die beiden Wale

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