Letzte Fischer
zwei Grad steuerbord. Mit seinem Handzeichen gab der Baske noch einen Grad hinzu, dann hielt er die beiden Griffe der Kanone wieder fest, an denen sich die Knöpfe zum Losfeuern befanden. Tommy wusste, beide mussten zeitgleich gedrückt werden.
Wie abgenutzt die schon waren! Die Knopfränder waren fast rund. Tommy sah wieder aufs Wasser vor Blubberstadt , und dann – er hielt den Atem an: Was machte der Harpunier? Auch er bewegte sich keinen Millimeter im Rhythmus der See.
Nur die Daumen zitterten leicht über den Knöpfen. Der Baske brachte die Harpunenkanone in Position, und dann – tauchte er auf! Sie sahen ihn alle blasen.
Keine zwei Meilen vor dem Schiff spritzte die Fontäne über neun Meter schräg nach hinten hoch. Also ein Blauwal! Tommy grinste und konnte es fast nicht glauben. Sein erster Wal und gleich ein riesiger Blauwal? Doch, es war eindeutig eine nach hinten gerichtete Fontäne, die da in der Luft zerstiebte und sich als Wolke auflöste.
Und noch eine Wolke!
Doch dann verschwand das Tier wieder, und der Baske hatte nicht gefeuert!
Tommy wurde von den eifrigen Bewegungen des Mannes ein wenig nach hinten gestoßen, der routiniert die Harpunenspeere wechselte, ehe er sagte, ohne sich umzudrehen: »Ein Doppelbläser ! Und das hier! Da brauchen wir schon das große Eisen ! Ein verdammter Doppelbläser , ich fasse es nicht.«
Doppelbläser ? Tommy hatte noch nie etwas von einem Doppelbläser gehört. Was sollte das denn sein? Davon stand in seinen Schulbüchern nichts, soviel war sicher.
»Du bringst uns Glück, Junge«, hörte er den Basken , ehe der sich wieder dem Wasser zuwandte.
»Na, denn mach du mal!«, sagte Tommy, doch der Baske vor ihm reagierte nicht.
Das Schiff schnitt durch die Wellenberge und Täler, und Tommy war es unbegreiflich, wie der Harpunier bei diesem Wellengang überhaupt etwas treffen wollte.
Dazu diese Dunkelheit! Der Blauwal war ja schon beim ersten Mal kaum zu sehen gewesen. Wenn da nicht die Fontänen gewesen wären! Tommy schüttelte den Kopf, als der Wal dicht vor dem Bug auftauchte.
Und Tommy hielt den Atem an. Und er spürte, wie die Wolke des Wals über dem Schiff auseinanderstiebte. Er meinte, etwas von der Fontäne abbekommen zu haben. Instinktiv schüttelte er sich und atmete lieber durch den Mund. Eine riesige Wolke Fäulnis, die sich da auf das Schiff legte, das immer noch in der Quersee rollte.
Der Wal wurde größer und größer, in Sturzbächen perlte das Wasser von seiner Haut. Das Tier achtete gar nicht auf das Schiff und drehte sich einmal um sich selbst, als ein kleinerer Wal auftauchte und sich zwischen Muttertier und Walfängerschiff legte. Das Kleine musterte das Schiff und kam herangeschwommen, doch da hatte der Baske die linke Hand erhoben und faustete sie.
Sofort drehte das Schiff bei, und mit einem Mal war das Rollen der Quersee verschwunden. Das Schiff lag mit dem Heck im Wind, es stampfte nur noch durch den jetzt langgezogenen Wechsel von Höhe und Tiefe. Unter diesem Rhythmus blieb dem Basken fast eine Minute zum Zielen und Feuern.
Genug Zeit, meinte Tommy, der sich den kleinen Wal ansah, der gleich ohne Mutter sein werde, wie er meinte. Oder schoss der Baske das Jungtier mit ab? Tommy fragte sich, ob der Nachwuchs ohne Eltern nicht sowieso sterbe. Zerfleischt von den Haien? Verhungert durch Unerfahrenheit? Tommy schien es, als schwebe das Schiff auf dem Kamm einer langen Welle. Er sah, wie der Baske sich ein wenig krümmte, er sah die beiden Daumen, die über die abgenutzten Knöpfe strichen, er sah die Knöpfe, die eingedrückt wurden.
Der Wal war nur schwer in der nächtlichen See auszumachen, eigentlich nur durch das Felsenartige seines Körpers, an dem das Wasser sich brach. Ohne Fontänen war der Wal in der stürmischen Nacht besser getarnt, als Tommy es sich hatte vorstellen können. Er musste seinen Blick doch sehr schärfen, als die stählerne Harpune durch die Luft schnellte und das Stahlseil mit sich fortriss, das sich in Sekundenschnelle abspulte.
Die Harpune schnitt knapp über dem Wasser und drang bis weit über die Hälfte in den Walleib ein. Der schwere Kopf des Speeres, in dem sich die Sprengladung befand, war eingedrungen. Und mit ihm auch die vier Toggles , die sich knapp hinter dem Speerkopf befanden und sich nun automatisch spreizten, so dass sie zu Widerhaken wurden. Zeitgleich zerplatzte der Glasbehälter im Speer und setzte so die Schwefelsäure frei. Zwei Sekunden nach dem Einschuss explodierte die
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