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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Entfernung spüren, eine Kabine für sich allein haben und beim Captain’s Dinner ganz oben sitzen … Ein Bartrio pingelt sanft einen Swing der bekannteren Sorte,«What is this thing called love?», und elegante Paare drehen sich auf der kleinen Tanzfläche. Wie 1938 in Brunshaupten, damals, mit den Eltern. Als es noch nicht losgegangen war. - Wie hätten die beiden Alten gestaunt, wenn sie es hätten erleben dürfen, daß ihr Sohn in upgegradetem Zustand nach New York fliegt. Wie hätten sie es überall herumerzählt. - Damals beim ersten Buch, das er veröffentlichte,«Kaum einen Finger breit»- diese Kriegsgefangenensache, noch mitleidig gelächelt. Der Vater:«Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer …»gesagt. Aber dann doch heimlich ein paar Exemplare gekauft und verschenkt.
     
    In dem Maß, wie das Flugzeug an Höhe gewann, sackte Sassenholz mit Schwimmgang, Büchergalerie und Teppichsammlung weiter ab. Auch Marianne verkrümelte sich, Sowtschicks Gehirnvideos, sonst ohne weitere Aufforderung sich abspulend, erstarrten zu Standfotos. Die Gartenpforte, die wieder einmal offensteht, die Skulptur des nackten Jünglings im Garten mit bemoostem Kopf …
    Ein Foto von Marianne hatte er nicht bei sich, eines, das er, wenn’s hart auf hart käme, in den letzten Minuten seines Lebens an die Lippen führen könnte. Das Foto beispielsweise, das auch auf seinem Schreibtisch stand, im Garten, den Arm voll Rosen, das Haar im Wind.
     
    An die Zeit der jungen Ehe mußte er denken, an die grüne Baracke, eine ehemalige Flüchtlingssache, günstig erworben, mit sechs Morgen Land drum herum - abblätternde Farbe - vorm Fenster jahrelang ein ausgefressener Meisenring. An die Teestunden in der Frühzeit dachte er, noch sehr eingeschränkt, zusammengebettelte Möbel, eine abgeplatzte Emaillekanne. Geröstetes Schwarzbrot mit Sirup statt Kuchen.
    Es war alles ganz gut gelaufen, und dafür war Sowtschick dankbar. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, und er hatte gewonnen. Über Mariannes ängstliche Frage damals, als er sie noch«mein Kleines»nannte, in einer Stunde des Zweifelns zaghaft vorgebracht:«… Kannst du mich denn überhaupt erhalten?», wurde immer wieder sehr gelacht.
     
    Es war nicht ausgemacht, ob Marianne in diesem Augenblick ebenfalls an die Frühzeit in der grünen Baracke dachte. Sie nutzte vermutlich die Gelegenheit, ihre sonderbare Freundin zu besuchen, mit der sie aus sozialen Gründen Kontakt pflegte. Edith Vormhagen, exaltiert und dumm-frech auf ökologischer Basis. Alexander nannte sie bei sich«die Schamlippe», die nur ins Haus gelassen wurde, wenn er auch ganz bestimmt nicht da war. Durchaus öfter als nötig kam Marianne mit ihr zusammen: dieser Frau, die längst von ihrem Mann verlassen worden war, der ihr unersättliches Liebesbedürfnis nicht hatte ertragen können. Ungünstige wirtschaftliche Bedingungen hielten diese Frau in Schach, wovon am Telefon Stunde um Stunde geratschlagt wurde. Außerdem wurde sie von Asthma gequält, unkontrollierbarer Homöopathie zugetan, wo anständige Pillen vielleicht geholfen hätten. - Marianne ließ ihr hin und wieder was zukommen, Aktionen, von denen Alexander nichts wissen sollte, was er aber doch jedesmal mitbekam, weil er seine Bankauszüge sorgfältig zu studieren pflegte. Aber als Gentleman machte er seine Entdeckungen niemals publik. In die Schlafzimmertür treten und sagen:«Na, hör mal …»- das war nicht seine Art. Im Notfall würde sich allerdings auf Machenschaften verweisen lassen.
     
    Nun, da er intensiver an Marianne dachte, fing das Gehirnvideo wieder an zu laufen: Gesundheitspralinen sah er sie für die gequälte Freundin kaufen, im Reformhaus, aus Johannisbrot und Grütze zusammengebacken, Konfekt, das er nicht einmal unter Zwang zu sich genommen hätte. Es war übrigens teurer als das unvergleichliche Konfekt, das Hessenberg gelegentlich aus München schickte.
    Die Schamlippe: An einem Sommerabend hatte sie unter dem Einfluß eines grünen Likörs seine Nähe gesucht, warm und drängend, im Garten, direkt neben dem steinernen Jüngling, dem jetzt in Sowtschicks Vorstellung eine Schneekappe wie erwärmtes Speiseeis vom Kopf troff. Und er dankte Gott, daß er ihr nicht nachgegeben hatte - jedesmal, wenn er an die Frau dachte, dankte er Gott.
     
    Als die Maschine aus der Kraft des regelmäßig rieselnden Benzins ihre«Flughöhe»erreicht hatte, was der geschwätzige Flugkapitän den Fluggästen in drei Sprachen mitteilte - Englisch,

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