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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Französisch und Dänisch -, stellte ihm die hübschere der beiden Stewardessen einen«Appetizer»hin, auf Porzellanteller, schichtartig zusammengebackenes Gallertzeug aus Lachs, Erbspüree und Gelatine und oben drauf eine Tomatenscheibe mit Kapern und einem Tupf Schlagsahne, auf dem wiederum ein Winzigkeit Grünzeug ausgemacht werden konnte. Porzellangeschirr, gestärkte Servietten. Niedliche kleine Salz- und Pfefferstreuer. Alles erste Klasse.
    Weshalb wurden die Belehrungen aus dem Cockpit nicht auch auf deutsch bekanntgegeben? Das war die Frage. Hatte das was mit neunzehnhundertvierzig zu tun? Mit jener Zeit, in der deutsche Soldaten die Osterbrodgade entlangmarschierten, und man hatte sie doch gar nicht gerufen?
     
    Alexander schob den Begrüßungshappen von sich weg und machte ein gequältes Gesicht, von Lebensekel gelähmt, wie es einem Menschen gut ansteht, der seine Zeit nicht gestohlen hat, der als Botschafter der Kultur von Erdteil zu Erdteil reist, unendlich müde von all den Jahren, Ehrengast gewesen beim Empfang des britischen Thronfolgers zum Beispiel, eingeladen auch zu privatestem Gespräch in der Villa Hammerschmidt. Träger bedeutsamer Preise (Sowtschick zählte sie her und bog dabei die Finger ein), die den Neid von Debütanten und längst Abgetanen erregten. War er selbst ein Abgetaner? Als alter Sack war er kürzlich von einem Jungautor namens Schätzing bezeichnet worden, der die Tinte nicht halten kann. Ansonsten wurde er von der jungen Generation schon lange nicht mehr erwähnt. Aber er war doch immer noch sehr da, unendlich gewichtiger als irgendwelche Jungautoren, deren Bücher - sogenannte Schnellschüsse - breiter als nötig, besprochen wurden in jenen Blättern, in denen Sowtschick neuerdings seltener vorkam. Seine Bücher seien eine Kurve, der man zu folgen gezwungen sei, auch wenn man lieber geradeaus fahre, hatte es in einer Kritik geheißen. Ein Verdikt, über das lange nachzudenken gewesen war.
    Auf den Lehrplänen der Schulen stand er immerhin noch. Das sicherte seinem Werk eine gewisse Dauer. Erst mit dem Tod würde sich das ändern. Noch einmal steil hinauf und dann stetig bergab.
     
    Alexander dachte an seinen sich unerbittlich nähernden Jubiläumsgeburtstag und daran, wen er einladen würde, wen bestimmt , wen vielleicht und wen auf gar keinen Fall . Durch die nun anstehende Lebensrundung ergäbe sich eine Gelegenheit, Leute zu erheben oder fallen zu lassen, je nachdem. Das Verlagspersonal brannte bereits auf eine würdige Ausgestaltung des Tages, das wollte sich mal wieder so richtig vollfressen.
    Nein, Alexander wirkte nicht wie ein Mittsechziger, der sich rein rechnerisch bereits dem Siebzigsten näherte. Regelmäßige Besuche auf der Sonnenbank hatte er nicht nötig, das war eher Sache von Jungautoren, die damit den Leserinnen Saft und Kraft vorgaukelten. Gelegentlich trank er ein Schlückchen Mohrrübensirup von den Firma Alete, das hatte den gleichen Effekt. Marianne stellte ihm das Zeugs gern auf den Schreibtisch.
    Die Zeiten, in denen Marianne gefragt worden war: Hat Ihr Mann Schwierigkeiten damit, daß er so jung aussieht, waren allerdings längst vorbei.
     
    An dem Bullauge, an das er seinen Kopf lehnte, war deutlich ein fettiger Abdruck auszumachen; den hatte der Vorgänger mit seiner Stirn hinterlassen. Das störte Alexander nicht, er hatte sowieso nicht die Absicht hinauszuschauen. Er wollte seine Ruhe haben.
    Während der Jumbo mit neunhundert Stundenkilometern über England hinwegzog, wurde Tomatensaft kredenzt, dazu eine Art Schaschlik mit Pfeffersauce. - Überm Atlantik gab es dann einen Fischteller: Lachs, Hummer, Leberpastete, Krabben. Danach irgendein Fleisch, verschiedene Gemüse, dazu kalifornischen Weißwein, den Sowtschick gegen ein Bier eintauschte, das auf dänisch bekanntlich«Øl»heißt.
    Später wurde dann noch«Øst»serviert, also Käse, Eis mit Baisers und Früchten.
     
    Der junge Herr mit dem steifen Bein fingerte eine kleine goldene Dose aus seiner Westentasche und pickte sich eine Pille. Er stocherte nur ein wenig im Essen herum. Im übrigen redete er ernst mit den Stewardessen, und die standen um ihn herum und lauschten ihm.
    Sowtschick ließ schon mal die Salz- und Pfefferstreuer verschwinden. Das würde er Klößchen als Andenken schenken. Würde man einer Leibesvisitation unterzogen werden beim Hinausgehen? Wohl kaum.
     
    Das Flugzeug flog über einer Wolkendecke dahin, kein glorioser Sonnenuntergang mit violettem Feuer … nichts

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