Letzte Gruesse
Kerl etwa an seinem Schreibtisch? Klimperte im Hintergrund jemand auf seinem Flügel?
Was Alexander nicht wissen konnte: Um ein Haar wäre es Edith Vormhagen gewesen, die«Schamlippe», die den Hörer abgenommen hätte.
Marianne kam schließlich an den Apparat, heftig atmend, und sie erzählte, daß ihr die Freundin hilft, die drei strammen Kerle zu bekochen und zu bebraten, das wär gar nicht so einfach. Die könnten ordentlich was vertragen! Wenn Edith ihr nicht zur Seite stünde, wisse sie nicht, wie sie es schaffen soll.
Der Vater des dänischen Betreuers sei von den Nazis umgebracht worden,«denk mal an», auch das wurde ihm berichtet.
Daß er sich schonen soll, sagte Marianne, und Gott sei Dank, daß er nächste Woche wieder zu Hause ist. Sie weiß gar nicht, wo die Krankenkassenbelege liegen …
Es werde nun bald Zeit, daß er zurückkäme, fände er das nicht auch?
«Vier Wochen Amerika, in deinem Alter!»
Daß sie sich auf ihn freut, sagte sie nicht.
Ob die Hunde es mitgekriegt hatten, daß es das Herrchen war, das da aus Amerika anruft?
Alexander frühstückte gehörig, und dann sah er sich drei Museen an: Wenn man schon mal in Chicago ist. Eines für Paperweights, eines mit hundert Puppenstuben und das Naturkundemuseum, in dem es das Skelett eines Dinosauriers zu sehen gab, braun gebeizt: Am rechten Vorderfuß wies ein roter Pfeil auf eine Knochenwucherung. Daran war das Tier gestorben, vor dreieinhalb Millionen Jahren.
Im Museum für Paperweights sah er Hunderte dieser bunten Dinger (wie kommt das Zeug bloß da rein?), auf Regalen lagen sie, eines neben dem andern, vor schwarzem Hintergrund, aus Strahlern angestrahlt, normale, sehr kleine und sehr große. Ein wenig an japanische Papierblumen erinnernd. Alexander hatte sich nie für diese Sammlerspezialität interessiert, für Spazierstöcke nicht, für Fingerhüte nicht und nicht für Paperweights. Ein einziges besaß er, das wurde jede Woche einmal abgestaubt. Sollte er es dem Museum stiften? Vielleicht war es ja sehr wertvoll?
Aus Gießharz könnte man sie auch herstellen, dachte Alexander, tote Insekten darin einschließen, Goldfische oder bizarre Tropentiere. Ob das ginge?
Ob es auch ein Museum für«Snowballs»gab? Diese Dinger, die man umdreht und dann schneits.
Die Puppenstuben sah er sich alle ganz genau an. Hundert Stuben, von Künstlerhand historischen Vorbildern nachempfunden. Biedermeier-Schlafzimmer, Gründerzeit-Eßzimmer, Schloßherren-Bibliotheken mit vergoldeten Stühlen, Portieren, alles mit großer Sorgfalt hergestellt. Die Teppiche von Hand geknüpft und auf der Couch eine Zeitung mit einer winzigen Brille. Hätten noch Tassen mit Kaffee gefehlt!
In all den wundervollen Stuben war kein einziger Mensch zu sehen! Kein Lordrichter mit übergeschlagenen Beinen vorm Kamin, keine Damen am Stickrahmen. Ein Stickrahmen ja, aber keine Damen. - Keine Kinder. Nicht einmal eine Maus. Das sollte so sein. Der Betrachter selbst sollte zum Bewohner dieser Welten werden.
Eine Gefängniszelle fehlt, dachte Alexander, mit Strohsack, Gitter und Krug. Und eine Leichenhalle, mit nebeneinander aufgestellten Särgen. Auf Knopfdruck Orgelmusik.
Warum kein elektrischer Stuhl?
Vor vielen Jahren hatte er für Klößchen mal ein Puppenhaus gebastelt, das war dann eines Tages im Garten stehengeblieben und dort über Nacht vergessen. Es hatte geregnet - und aus war der Traum für immer und ewig. Alexander hatte in einem Wutanfall die Reste des kleinen Gebäudes mit einer Axt zerschlagen. Worüber dann geschwiegen worden war. Jahrelang. Diese Schuld ward ihm nicht erlassen. Auch nicht, nachdem er für das Klößchen eine Eigentumswohnung gekauft hatte in Westfalen. Nein, diese Tat war ihm nicht vergeben worden, obwohl er es doch gewesen war, der das Haus gebaut hatte.
Die drei Museen am Stück sah er sich an. Er hätte noch das größte Aquarium der Welt besichtigen können, aber es flimmerte ihm bereits vor den Augen.
Am Abend ließ Alexander sich zum höchsten Hochhaus Chicagos fahren. Im 96.-Stockwerk-Restaurant wollte er essen.«Sie waren in Chicago und haben nicht im 96.-Stockwerke-Hochhaus gegessen?»So was gesagt zu bekommen, das konnte er nicht riskieren.
Ein einzelner Herr? - Man ließ ihn nicht an der Panoramaseite Platz nehmen. Den Ausblick auf die ganze Stadt, für die das Haus berühmt war, hatte man für Gruppen reserviert. Obwohl er sich schon an eines der Fenster gestellt hatte, wies man ihm eine dunkle
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