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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gedacht: Wenn das man gutgeht … Alter Soldat? Und macht hier schlapp?
    «Es geht schon», sagte Alexander und stellte sich wieder ans Pult, aber es ging keineswegs, er kapierte nicht, was auf seinen Zetteln stand, und da knickten ihm plötzlich die Beine ein, und er lag auf dem Fußboden:«Wo ist meine Brille?»sagte er und faßte an seinen Geldgürtel.
    Hatte er nun alles hinter sich?
    Menschen umstanden ihn, die er nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie öffneten ihm das Hemd, sie hoben seinen Kopf und flößten ihm Wasser ein.
    Arzt holen? Arzt nicht holen? Ärzte sind schließlich ziemlich teuer.«Man hat ihn in Chicago verrecken lassen...»Würde seine Biographie mit diesen Worten enden?
    Aber schon kam Alexander wieder zu sich. Er fand sich zurecht und machte sogar Witze. Von«Tschaikägo»redete er, das hätte er nicht gedacht, daß ihm so etwas in«Tschaikägo»passiert … Er wäre gern noch etwas liegengeblieben, aber man hob ihn auf, klopfte ihm den Staub von der Jacke und setzte ihn auf seinen Stuhl.
    Es ging ja schon viel besser.
     
    Im Hotel guckte er erst mal in den Spiegel. Blaß sah er nicht aus, auch nicht rot, keine Spuren hatte der sonderbare Fall hinterlassen. Alles ganz normal. Es kribbelte ein wenig in den Füßen, und die Augenlider zitterten. Er trank ein Glas Zitronensaft und zog sich ein frisches Nachthemd an. Dann legte er sich ins Bett und betrachtete die Stuckverzierungen an der Zimmerdecke: Engel, die einen Blumenkranz um die Lampe winden, von dem sich einzelne Blüten gelöst hatten.
     
    Er lag auf dem Rücken, wie Tote liegen, das Nachthemd glatt unter sich gestrichen. Wie gut, daß ihm das Horn nicht erschienen war! Dieses Umkippen vor allen Leuten war eigentlich ganz angenehm gewesen! Vor aller Leut’s Augen! Er hatte noch nie einen Menschen umkippen sehen, und nun war ihm das selber passiert. Schade, daß Marianne das nicht miterlebt hatte. Fernmündlich würde er ihr den Ernst der Lage nicht verdeutlichen können.
    Das Umkippen war eine Sache, das Horn eine bedenklichere andere.
     
    Er versuchte noch einmal, die einzelnen Stationen seiner Reise zu rekapitulieren: wieder vergeblich. Auch sein Notizbuch half ihm nicht weiter. Auf der letzten Seite standen die Namen der Freunde, die er zum siebzigsten Geburtstag einladen wollte.«Nein!»sagte er laut und strich alle durch.
    Die Aktzeichnungen würde man irgendwann einmal herausreißen müssen …
     
    Vielleicht doch die Kusine besuchen? Die Reise mit dem Besuch bei einem Menschen abrunden, der einem nicht gleichgültig sein durfte. Wer konnte denn wissen, was dabei herauskam? Der Reise einen geradezu logischen Schluß verpassen …
    Die Kusine besuchen, das war eine gute Idee. Nun hatte er für morgen was vor! Er klappte das Notizbuch zu, reckte und streckte sich und löschte das Licht.
     
    Dry toast with butter - Alexander erzählte dem Kellner, daß er im Institut umgefallen sei,«I come from Germany, you know, and I’m invited …»und, bums, umgefallen! Hell und licht sei es um ihn herum geworden … Und nun will er seine Kusine besuchen, die seinen Eltern in der Nachkriegszeit Carepakete geschickt hat, und er ist mal neugierig, ob er das schafft, diesen Besuch durchzustehen, oder ob er noch einmal umkippt. Am Ende einer Reise die Kusine besuchen, das sei doch irgendwie logisch?
    «Die Kusine, jaja. Hahaha», sagte der Kellner.
     
    Im Notizbuch stand die Adresse, die ihm Marianne noch besorgt hatte. Es war auch eine Telefonnummer dabei. Onkel und Tante waren schon tot. Zigarrendreher war der Onkel gewesen, aber Kusine Lucie lebte noch.
    Ich werd’n Deibel tun und da anrufen!, sagte er zwar laut, aber er tat es dann doch.
    Weil keiner ans Telefon ging, wollte er schon auflegen, aber da meldete sich eine Frauenstimme:«Hier Lucie Sautscheick!»Er kostete den Augenblick aus:«Ja, was meinen Sie wohl, wer am Apparat ist?»
    «Na, Alex, I think», sagte die Frau. Sie hatte von den«Deutschen Wochen»gehört und daß er in Chicago einen Vortrag halten sollte. Sie hatte vorgehabt zu kommen, aber leider, leider … Er wisse ja selbst, wie’s ist.
     
    Ein Taxi wurde besorgt, und auch der Taxifahrer mußte es sich anhören, daß er aus Deutschland kommt und gestern, bums!, umgefallen ist und daß das wie eine Erleichterung gewesen sei, dieses Umfallen. Er habe gedacht: Nun ist alles aus, nun brauche ich mir über nichts mehr Sorgen zu machen … Der Taxifahrer war aus Puerto Rico, der mochte vermuten, daß Alexander arg

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