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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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und:«Verdammt!»

8
    Die Nacht verlief ohne Überraschungen. Sowtschick lag auf dem Rücken und atmete tief ein und aus. Die Stadt ist schon längst erwacht, dachte er, und ich liege hier und schlummere. Was für ein Luxus!
    Er dachte an Müllmänner, die auf dem Trittbrett ihres Autos stehen und von Haus zu Haus fahren, an Großraumbüros, in deren Kabinen die Sekretärinnen sich auf ihrem hydraulikgefederten Stuhl niederlassen und zu schreiben beginnen, an Flugzeuge, die schräg aufsteigen in den«Äther», an Stewardessen, die sich daranmachen, die Passagiere mit heißem Kaffee zu versorgen:«Something to drink?»
    Er dachte auch an Hausboote in Thailand, obwohl er noch nie in Thailand gewesen war, an Motorroller in Hanoi, an Esel, schwer beladen, und zusätzlich sitzt noch einer oben drauf. Aller Sorgen war er los und ledig, keine Post, kein Telefon, und sein Schlummer glitt aus der Ermattung seines Körpers heraus ins Wache hinüber. Er nahm einen Schluck der milden Flüssigkeit, die auf der gläsernen Platte des schwarzen Couchtisches stand, und alles war wieder gut.
     
    Nur kurz dachte er an Marianne, die jetzt im Keller stehen würde und das Wasser aufnehmen, das durch das Siel eingedrungen war. Er empfand es als eine Niederlage, daß sein Haus nicht wasserdicht war. An alles hatte er gedacht, damals, als das Haus gebaut wurde, an Wohnbereiche, an ein Studio, eine Büchergalerie und einen Schwimmgang sogar, alles ausführlich in der Zeitschrift Form gerühmt. Aber - der Keller nicht wasserdicht. Das war eine Blamage.
    Zum Frühstück nahm er, auf seinem Lager sitzend, zwei Scheiben Toast zu sich, die ihm der gereizte Dr. Kirregaard servierte, nahezu hinwarf - Orangenmarmelade fehlte, und der Kaffee war zu dünn -, und dann machte er sich wieder lang, obwohl die Seufzer des mit Schriftstücken raschelnden Institutsleiters lauter und lauter wurden. Deutsche Zeitungen warf er Alexander aufs Lager.«Leipzig!»rief er.«Wenn das man gutgeht!»Sowtschick rührte die Blätter nicht an. Demonstrationen und Lichterketten … Er wollte Abstand gewinnen von den verworrenen Verhältnissen seines Landes. Sonst würde der Leib am Ende noch einmal gegen ihn aufstehen. Das Erdbeben in San Francisco: Das war es, was ihn schon eher interessierte. Er schaute sich die Bilder an: eingeknickte Autobahnbrücken und eine Hand unter Trümmern, markiert mit Kreis und Pfeil …
    Sie winkt, die Hand, dachte Alexander, sie winkt mir zu. Soll ich kommen oder gehen? - Was Leipzig anbetraf, da dachte er an einen Elefanten, der den Rüssel hob wie eine Lure. Den hatte er vor Jahrzehnten mal im Leipziger Tierpark beobachtet, das konnte schnell geklärt werden. Aber die Hand?
     
    Elefanten, die im Wald Baumstämme beiseite rollen, und Elefanten vom Zirkus, von Mädchen geritten. Das war ein Unterschied. Im Zoo stehen sie und wiegen sich hin und her und warten auf die Heuballen, die man ihnen gleich vorwerfen wird.
     
    Kirregaard eilte hinaus und kam wieder hereingeeilt: daß er seine Zeit nicht gestohlen hat!, sollte das bedeuten. Manchmal kam auch seine Sekretärin herein mit Hängebrille, die guckte mitleidig nicht etwa Sowtschick an, sondern ihren Chef, was der hier wieder um die Ohren hat … Professor Phallenberg von der State University in Oregon sei soeben eingetroffen.
    «Ich komme schon! Ich komme schon …»
    Ah, nicht mehr ein noch aus, das Haar fiel dem Mann in die Stirn. Die Hände zu den Schläfen geführt. Es war zuviel, zuviel …
    Es war nicht uninteressant, dem Mann zuzusehen, wie er da an seinem Stahlrohrschreibtisch agierte. Wie können Menschen so beschäftigt sein, ohne etwas zu tun!, dachte Alexander. Dieses Lesen unwichtiger Briefe, das Telefonieren mit aller Welt? So hatte Kirregaard auch mit ihm in Sassenholz telefoniert, ob alles in Ordnung ist? -«Wir werden alles Erdenkliche tun, Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen …»Alexander war gerade aus dem Schwimmgang gekommen, und beide hatten einander versichert, es ist alles okay! Mit verdorbener Mayonnaise hatte man nicht rechnen können.
     
    Über dem Schreibtisch hing ein breitformatiges Hafengemälde, in Kokoschka-Manier gemalt, mit allerlei Kränen und Schiffen, silbern eingerahmt. Hamburg also, im Grunde eine ziemliche Schmiererei. Alexander sah sich gezwungen, das Bild, das bestimmt nicht billig gewesen war, immer wieder zu betrachten. In einem geeigneten Moment - Kirregaard war wieder mal hinausgeeilt - raffte er sich auf, nahm die Decke

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