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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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festgedrückten Faden - gewitzt durch Stasi-Erfahrungen -, der abreißt wenn man den Koffer öffnet, was bewiese: Hier hat jemand geschnüffelt?

9
    Alexander trank den Rest der milden Arznei und riß sich los, er ging nach unten.
    An der Tür, das sah er jetzt, war ein hübscher Doorknocker aus Messing angebracht, ein Blumenkorb, Empire-ähnlich. So etwas wäre für Sassenholz zu gebrauchen. Würde man das Dings abschrauben können und mitnehmen?
     
    Im Büro liefen alle durcheinander:«Deutsche Wochen», ein ganzes Opernensemble wurde erwartet,«Der Barbier von Sevilla», und die mußten alle untergebracht werden! Und jeder mit Sonderwünschen, wie Künstler eben sind …
    Trotzdem wurde Sowtschick freundlich begrüßt. Verschiedene Damen kamen auf ihn zu. Es handelte sich um jene, die ihn am Tag zuvor wie Engel um eine Krippe umkniet hatten. Er wurde gefragt, wie es ihm geht, schade, daß er gestern nicht bei der Lesung war, der Schätzing habe durchaus nach ihm Ausschau gehalten.
    Alexander dankte und faßte sich kurz. Daß er von zu Hause eine Hiobsbotschaft nach der anderen bekomme, sagte er, die Wasserpumpe sei kaputtgegangen, der ganze Keller unter Wasser … So ist das immer - wenn er mal abschalten will, dann komme es knüppeldicke. Und dann: die ganze Nacht sich in Schmerzen gewunden...
    Daß er sich hier noch einmal auf den Fußboden niedergelegt hätte, um sich noch einmal umknien zu lassen, das wäre nicht gegangen.
     
    Kultur, Kultur, Kultur: Im Foyer tönte aus mehreren Lautsprechern das Doppelkonzert von Bach, oh! Eine Plakatausstellung war installiert, sauber gerahmt und akkurat nebeneinandergehängt: wie beschissen die Zustände sind, unter denen man in der Bundesrepublik zu leben gezwungen ist. Nazihaft verseucht das ganze Land, von oben bis unten … Einzelne Amerikaner sahen sich die Exponate nachdenklich an, das Kinn in der Hand. Hätten sie gar nicht gedacht, daß die Bundesrepublik so nazihaft verseucht ist …
    Die Plakate waren schon um die ganze Welt gewandert, von Indonesien bis Mexiko, Berlin, Paris und Kopenhagen, damit es auch der letzte Eskimo kapiert: Die Bundesrepublik ist nazihaft verseucht. Im Osten des Landes hingegen scheint die Sonne einer strahlenden Zukunft, das muß man endlich mal kapieren. Es stand außer Zweifel, daß dort Zukunft anbrach, wie man sie sich leuchtender gar nicht vorstellen konnte. Wenn es auch neuerdings durchsickerte, daß das Volk dort anderer Ansicht war. Aber gemeckert wurde ja immer und überall.
     
    Kultur, Kultur! Dem Institut angegliedert war eine Bibliothek, die von Sprachschülern frequentiert wurde. Bildbände über Heidelberg und Rothenburg ob der Tauber sowie die sämtlichen Werke von Schiller, Goethe und Lessing, auf den Rücken mit Stellnummern versehen. Auch neuere Literatur, der ganze Brecht und allerhand DDR. - Unter«S»fand er Schätzing sofort, aber nach«Sowtschick»suchte er vergebens. So viele Bücher hatte er geschrieben, hatte denn kein einziges den Weg in die 5th Avenue gefunden?
    Denkbar war allerdings, daß seine Werke in diesen Tagen ausgeliehen waren, zur Vorbereitung seines Auftritts.
    Oder unterhielten am Ende die Menschen in der 5th Street ihr Feuerchen damit?
     
    Niels Pötting, Hinze aus Mölln, Kargus aus St. Peter und natürlich Ellen Butt-Prömse. Deren«Ehebrevier für ihn und sie»war gleich in mehreren Exemplaren vorrätig. Auch auf«Mergenthaler»stieß er - äch! Das hatte ihm noch gefehlt! … Daß dieser Mensch ein Dünnbrettbohrer war, stand fest, dazu brauchte man nicht in seinen Werken zu blättern. Aber man hätte es eben nicht lauthals verkünden sollen. Nun hatte man den Salat.
     
    Doch halt! Kultur! - Zwar war in den Regalen keiner seiner Romane zu finden, aber doch, ein einzelnes schmales Bändchen, nach hinten weggerutscht,«Äolen», der Privatdruck, den er seinen Romanen vorausgeschickt hatte. Gedichte, mit denen er sich der Öffentlichkeit vorstellen wollte, damals, noch im Restaurant des Dammtorbahnhofs verfaßt und abends mit Marianne wieder und wieder durchgegangen und wo es ging auch ziseliert. Ein Rätsel, wie sich das Ding hier hatte halten können!
     
    Die Querung einer Quelle
im durchfeuchteten
Moosgrund -
ein Abend
schlanker noch
als die Taille einer Frau …
     
    War das denn so unter aller Kanone? Damals hatte das sogar als progressiv gegolten. Im Bunker an der Moorweide hatte er vor Freunden aus dem Heft gelesen, und hinterher war Jugend mit ihm durch Lokale gezogen, und ein

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