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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ja doch noch irgendwie.
     
    Ein Papier wurde ihm noch hingehalten: Eine Frau Samson habe sich gemeldet, die möchte ihn gern sprechen, vielleicht lasse sich das einrichten? Ob Sowtschick sie kenne? Aus der Kindheit? Nein, Sowtschick tat es leid, der erinnerte sich nicht an eine Dame solchen Namens. An andere schon! Hier und dort war es zu Begegnungen gekommen. Helga Schade in Hamburg mit ihrem Naturtick und in München ein Mädchen mit Samtband um den Hals, ein wildes, unersättliches Tierchen …
    Nein, eine Frau Samson kannte er nicht. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn man ihm hier im Institut die Adresse des Mädchens Freddy aus Santa Barbara hätte besorgen können.

10
    Nun New York ansehen. Eine Germanistikstudentin wurde ihm zugeführt, die ihm alles zeigen sollte, damit es ihm nicht wieder passierte, daß er die 5th Avenue mit der 5. Straße verwechselt. Die Studentin hieß Jennifer. Sie war zwar keine Schönheit, aber angenehm anzusehen, ein dunkler, braunhäutiger Typ mit samten behaarten Wangen. Ein Mädchen, mit dem man gern mal per Motorrad durch die Gegend gefahren wäre. Alexander freute sich, daß man ihn nicht allein ließ, und er dachte ziemlich sofort daran, daß er vielleicht ihre Zuneigung gewinnen könnte, und er malte sich das aus: zunächst einmal alles gemeinsam unternehmen und dann darauf bestehen, daß sie mitmacht die ganze Tour? Auf seine Kosten? Allein ist man so hilflos. Es müßte für sie als Germanistin doch eine Sensation sein, mit einem Schriftsteller, dessen Werke mit Preisen ausgezeichnet und in mancherlei Fremdsprachen übersetzt wurden.
     
    Einen ersten Fehler machte er, als er es spontan von sich gab: Er habe eine Tochter in ganz demselben Alter wie sie, er kenne sich also irgendwie aus in ihrer Generation, und sie würden schon miteinander auskommen. Seine Tochter, genannt«Klößchen», habe die Kunstakademie besucht, sie sei Graphikerin, eine Künstlerin von hohen Graden, obwohl sie ihren Hafen noch nicht so recht gefunden hat.
    Durch diese Mitteilung machte er sich zum Opa, ein Fehler, der schwerlich zu korrigieren sein würde. Auch kraftvolles Hinaufspringen der Treppen und das Aufreißen von Türen würde da nicht helfen.
    Bei Männern entscheide Geist und Tatkraft, war gesagt worden, und außerdem Erfolg, und den konnte er vorweisen, auch wenn seine Bücher nicht in der Bibliothek des Instituts standen und nicht ausgestellt waren in einer gläsernen Vitrine, wie es mit den Erstlingen eines zweifelhaften Literaten geschah, der durch außerliterarische Finten die Leser verblüffte.
    Erfolg mache geil.
     
    Die Kamera vorm Bauch, noch etwas wackelig auf den Beinen, doch voll Tatendrang, trat er mit seiner Begleiterin ins helle Sonnenlicht der Straße.
    Die beiden, die man in der Tat für Vater und Tochter halten konnte, gingen hinüber zum Central Park. Es hatte aufgehört zu regnen, und Alexander öffnete seine Mehrzweckjacke, damit Luft an den Körper kam. Zu hoffen war, daß der schwitzige Dunst, der aus seiner Kleidung entwich, nicht auf sie schlagen würde. Der Schirm in der Spezialtasche pendelte ihm leicht und regelmäßig ins Gesäß. Eben noch mal schnell zurücklaufen und die Prinz-Heinrich-Mütze im Institut hinterlegen, die Leute guckten schon so befremdet. Jennifer, die er beinahe gebeten hätte, die Mütze für ihn zurückzutragen, ließ derweil die Blicke in die Gegend schweifen. Ein Schwarm Tauben kam geflogen und ließ sich bei einer alten Frau nieder, die ihnen Brot zuwarf.
     
    Der Central Park erinnerte Alexander an die Wallanlagen seiner Heimatstadt, wenn auch ohne Festungsmauern. Eine kleine Jazzband stand auf dem Weg und spielte«Lullaby of Birdland», ganz so, wie man das aus dem Radio kannte. Schwarze Musiker waren es, und sie hatten ihre Instrumente sehr blank geputzt. Auf einer Wiese rannten Jungen hinter einem Ball her, von Hunden angekläfft. Rollschuhläufer, Schachspieler, deren Figuren einen Meter hoch waren und mit einer Sackkarre bewegt werden mußten - auf einem Teich ließ ein Familienvater eine kleine«Titanic»per Fernbedienung schwimmen. Eine Untergangsvorrichtung sei wohl nicht eingebaut in dieses Spielzeug, sagte Alexander. Und das sei wohl auch nicht ratsam, denn man könne das Dings dann ja nicht wieder auftauchen lassen, wie im Film, wo man den Projektor rückwärts laufen lassen kann …«Untergehen ist eine einfache Sache, aber wieder hochkommen!»Das sei der Haken. Marianne hätte gelacht über diesen Gedanken. Alle

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