Letzte Gruesse
setzten sie sich in ein Café, genannt«Papa Haydn». Es wurde von jungen Leuten betrieben, die es mit der Natur hielten. Über den Lichtschaltern hingen Hinweise aufs Stromsparen, und aus den Boxen strömte unentwegt das Doppelkonzert von Bach, die Tische roh und die Wände holzverschalt. Hier war Gesundheit Trumpf, weshalb es auch nur Plürrkaffee und trokkenen Kuchen zu essen gab, für Sowtschicks strapazierten Magen genau das Richtige. Auch die Musik hielt man vermutlich für gesund, allegro moderato, die perlte über die Leute hinweg, die hier saßen, Naturlimonade tranken und den trockenen Kuchen kauten. Im übrigen:«No smoking», was Alexander nur recht sein konnte, seine Begleiterin jedoch ärgerte, die hatte ihre Utensilien schon herausgeholt. Die Fingernägel sonderbar kurz, tatzenhaft gekrümmt.
Um den Hals trug sie, das sah er erst jetzt, an einem Kettchen eine silberne Rasierklinge.
Sowtschick sagte: Die Platte habe er auch, das Doppelkonzert von Bach, von Oistrach gespielt, einem Russen …
Er fühlte sich in diesem holzverschalten Restaurant an eine Kantine des Reichsarbeitsdienstes erinnert, das sagte er auch. Aber: klassische Musik? Damals sei eher auf dem Schifferklavier musiziert worden …
Ob er Mitglied der Partei gewesen sei, fragte Jennifer. Nein? Aber Hitlerjunge, was? Den Juden die Fenster eingeschmissen? - Alexander hatte keinem Juden die Fenster eingeschmissen, er hatte überhaupt keinen Juden gekannt. Hitlerjugend? Er dachte eher an ein ungemütliches Zeltlager, an einen kalten Fluß und an angebrannte Erbsensuppe.
Die beiden saßen am Fenster und ließen Menschheit an sich vorüberziehen. Ukrainische, chinesische und auch deutsche Gesichter. Physiognomien, die man auch in Eppendorf zu sehen kriegte, wie Sowtschick erklärte. Wie hoch wohl der Anteil deutschen Blutes sei, hier in Amerika? Wieviel Prozent? Die verschiedenen Auswanderungswellen? Er selbst habe einen Onkel in Chicago, schon vor dem Krieg fortgegangen und nach dem Krieg Pakete geschickt. Eine Gruppe jüdischer Männer in schwarzen Mänteln und Hüten lief am Fenster vorüber. Die schwarzen Mäntel flogen im Wind. Alexander brachte den Fotoapparat in Stellung … Ob es sich bei diesen Menschen um Edelsteinschleifer handelte oder -händler?«Sie wollen diese Leute doch wohl nicht fotografieren?»fragte die Studentin.«Ist es nicht schon genug, daß in Deutschland Millionen Juden ermordet wurden?»
Alexander musterte die Studentin, wie sie ihm da gegenübersaß, die Bluse ein wenig angeschmutzt, und er fand sie angenehm, obwohl sie ihn verächtlich ansah. Angenehm, aber nicht besonders anziehend. Sie ihrerseits fand ihn offenbar weder anziehend noch angenehm. Sie war mit ihren Gedanken woanders, vielleicht bei einem Referat, das sie vorbereitete? Einem Vortrag über die Sprache der DDR, daß die völlig anders ist als die der BRD? Merkwürdig. Es mußte für sie doch etwas Besonderes sein, mit einem deutschen Schriftsteller Kaffee zu trinken? Wenn sie über ihn ein Referat hätte halten müssen, wäre er ihr zur Hand gegangen, da hätte er gern auf weitere Spaziergänge verzichtet.
In Eppendorf wäre längst jemand auf ihn zugekommen und hätte um ein Autogramm gebeten … aber hier, im Café«Papa Haydn»stand das nicht zu erwarten. Dafür konnte man hier mit einer jungen Dame Kaffee trinken, ohne daß das später in einer Illustrierten hätte nachgelesen werden können.
Jennifer seufzte und sah öfter als nötig auf die Uhr. Vielleicht mußte sie jedem Gast, der im Institut auftauchte, New York zeigen? Schriftstellern, Städteplanern, Politikern, vielleicht auch mal einem Maler oder Musiker.
Ob er den Schriftsteller Scharrenhejm kenne? Der sei ganz versteinert aus dem Flugzeug gestiegen und habe sofort wieder nach Haus fliegen wollen, sagte sie und mochte damit meinen, daß es sich bei Alexander letztlich doch um einen ganz annehmbaren Menschen handle. Und die Butt-Prömse habe sich eine Flasche Whisky gekauft und mit aufs Zimmer genommen. Und der andere, wie heißt er noch, habe seine Frau die Koffer schleppen lassen … Fünfundzwanzig Städte nacheinander zu besuchen, das sei auch nicht jedermanns Sache.
Ob er Schätzing kenne?, fragte sie, und sie sah ihn zum ersten Mal richtig an. Sie habe ihn gestern bei der Lesung vermißt.«Haben Sie etwas gegen ihn?»
Nein!, sagte Sowtschick, er habe nichts gegen ihn, es sei wohl eher umgekehrt, der habe was gegen ihn! Er hätte gern eine kurze Visite
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