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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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gab es keine.
    Vor dem Frühstück setzte Liebig dem Verdächtigen zu, vor dem Mittagessen Tarnat und nachts, zu unregelmäßigen Zeiten, kam Ermittlungsrichter Schmelz, setzte sich halb auf den kleinen Tisch und bombardierte Hoven mit Fragen, Anschuldigungen und Vermutungen.
    Er hatte auch über ihn ein psychologisches Gutachten anfertigen lassen, darin stand, die Intelligenz sei höchstens durchschnittlich, sie befinde sich an der unteren Grenze und sei zu logischem Denkvermögen kaum in der Lage, die Frage aber, die Schmelz beschäftigte, war, ob sich Hoven dumm stelle oder ob er einfach nur dämlich sei.
    Es war in der Nacht zum dritten April vierundvierzig, kurz vor zwei Uhr, als Schmelz erneut die Stufen zum Arrestbunker hinunterstieg, sich kurz die Luke der Zellentür öffnen ließ, hinter der Standartenführer Koch einsaß, und ihn mit den Worten ‚Ich kriege Sie‘ weckte, ehe er die Luke wieder verschließen ließ, um wenig später in der Zelle von Waldemar Hoven zu stehen, der ihn verschlafen anstarrte.
    In dieser Nacht aber hatte Schmelz mehr als das Übliche. Er lächelte Hoven an, machte es sich auf dem Tisch bequem und steckte sich eine Zigarette an, während sich Hoven auf den Rand der Pritsche setzte, mit den Händen über Gesicht, Kopf und Nacken fuhr, gähnte und die Hände flach auf die Oberschenkel legte. Er lehnte sich gegen die Wand und sah Schmelz an, eher verwundert denn unsicher. Er fragte sich, wie lange die Beamten wohl diese Methode aufrechterhalten können, und als er die Frage einmal laut formulierte hatte, war die Antwort gewesen, solange sich Wellen auf dem Meer befinden. Was für eine merkwürdige Aussage! Hoven hatte mit ihr nichts anfangen können. Immer noch war er verwirrt darüber, dass der Kriminalobersekretär Doktor Tarnat ihn gestern Abend mit ins Kino nach Weimar genommen hatte, und jetzt bereute er es, denn der Tarnat hatte ihm während des Films dauernd in den Ohren gelegen, und um seine Ruhe zu haben, hatte er auf alle Fragen geantwortet, ohne zu überlegen, und plötzlich war er dann redselig geworden; gefährlich redselig, meinte er nun, konnte er sich heute doch an das Gesagte kaum noch erinnern. Zu dumm! Ob er sich verraten hatte? Wie damals in Los Angeles, als er die Rolle eines Zuhälters bekommen hatte, die doch für einen anderen Schauspieler vorbestimmt gewesen war. Einer, der plötzlich mit zerschlagenem Gesicht in einer Hausecke gefunden worden war, was hatte denn er dafür gekonnt? Niemand hatte Misstrauen geschöpft, aber da musste er sich ja noch verraten, ausgerechnet verplappern musste er sich, und das war es dann mit der Karriere des Schönen Waldemar, wie sie ihn hier alle nannten, gewesen. Nein, er musste sich konzentrieren, er durfte kein Wort von sich geben. Worte waren so Dinge, die einem das Genick brechen konnten; zack und knack, und schon liege man blank, meinte er.
    „Angeklagter Waldemar Hoven“, begann Schmelz unvermittelt das Verhör und wie immer mit der gleichen Floskel: „Sie wissen, warum Sie hier sind? Antworten Sie!“
    „Weder bin ich ein Angeklagter, noch weiß ich, warum man mich hier eingesperrt hat! Als wäre ich ein Verbrecher!“, antwortete Waldemar Hoven wie immer.
    „Sie haben Tausende von Menschen auf Befehl von Koch umgelegt, aber das wissen Sie doch, Waldemar! Angeklagter Hoven, ich beweise es Ihnen, ein Geständnis kann bei Gericht für Milde sorgen. Muss es aber nicht“, legte Schmelz los: „Denn auf ein Geständnis von Ihnen sind wir nicht angewiesen, Angeklagter Hoven, wir wissen alles, und wir können alles beweisen! Sie haben die SS hintergangen, Sie haben das deutsche Volk hintergangen, Sie haben Menschen wie Fliegen getötet!“
    „Ich bin mir keiner Schuld bewusst, weil das keine Lüge ist!“
    „Mir egal, Angeklagter Hoven, worüber Sie sich bewusst sind und worüber nicht, mir völlig egal. Ich habe das hier!“
    Lässig warf Schmelz eine schmale Akte auf die Pritsche von Hoven, der aber keine Anstalten machte, sie zu nehmen und sie zu öffnen. Er warf nur einen kurzen Blick auf den Umschlag, auf den in Lettern stand: ‚Universität Jena, Gerichtsmedizin‘.
    „Endlich sind die Obduktionsberichte gekommen, lange Monate hat es gedauert, Angeklagter Hoven, und diese beweisen nun, dass nur Sie, Sie allein, für die Morde an Freudmann, May und Köhler in Frage kommen. Im ganzen Lager Buchenwald sind Sie der einzige, der die Mittel hatte, auf genau die Art und Weise zu töten, wie diese Tötungen

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