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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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blechernen Beistelltisch, auf dem die vier Spritzen aufgezogen lagen.
    Die vier Häftlinge lagen gefesselt auf den Pritschen.
    „Und Sie wollen selbst spritzen?“, fragte der Arzt, obwohl er die Antwort bereits kannte.
    „Ich muss! Das darf ich Ihnen oder meinen Kollegen nicht zumuten. Ich bin verantwortlich hier, und ich stelle mich dieser Verantwortung. Sie protokollieren alles aufs Genaueste, Doktor Ding Schuler“, sagte der Ermittlungsrichter und drehte sich dann zu seinen Kollegen um: „Und Sie setzen sich beide einfach auf die Stühle da und merken sich, was Sie gesehen und gehört haben. Riechen Sie bitte auch, wenn die vier Männer sich im Todeskrampf übergeben.“
    Und obwohl er wusste, sie konnten ihn nicht verstehen, sagte Schmelz zu den Verurteilten: „Seien Sie versichert, der Gerechtigkeit einen großen Dienst zu erweisen. Gott wird das in seiner unermesslichen Weisheit berücksichtigen, dessen bin ich gewiss! So werden Sie von der Schuld, die Sie auf sich geladen haben, etwas abtragen können.“
    „Bringen wir es hinter uns“, sagte Tarnat plötzlich: „Bevor mir das alles noch leid tut!“
    „Mir tut es jetzt schon leid!“, sagte Liebig: „Also keinen Zirkus bitte, Hauptsturmführer, wenn ich so frei sein darf, einmal etwas zu erbitten. Oh Gott, ich scheiß mir gleich in die Hosen!“
    „Seien Sie jetzt bitte still, und konzentrieren Sie sich bitte auf die Ihnen zugewiesenen Rollen“, sagte Schmelz: „Das ist jetzt sehr, sehr wichtig! Für uns alle.“
    Er nahm eine Spritze nach der anderen und drückte das Gemisch aus Beruhigungs- und Aufputschmittel in die Venen der Ellenbogen der sich aufbäumenden, geknebelten Kriegsgefangenen, die aus der Gegend von Jessenin stammten.
    Doktor Ding Schuler benannte die Symptome und notierte sie in eine sorgfältig vorbereitete Liste, die der Kapo Doktor Kogon ausgearbeitet hatte:
    „Leichtes Verkrampfen.
    Fortgeschrittenes Verkrampfen.
    Schweres Verkrampfen.
    Einsetzen von Schweißausbrüchen.
    Einsetzende Betäubung der Nerven bei gleichzeitiger, sich steigender Wildheit des Körpers.
    Starre Pupillen.
    Extremer Bewegungsdrang.
    Austritt des Mageninneren in krampfartigen Schüben.
    Bewusstlosigkeit.
    Heftiges Aufputschen des Herzmuskels.
    Rasender Herzrhythmus.
    Implodieren der Herzkranzgefäße, sichtbar durch Blutaustritt aus Mund und Nase.
    Sowie aus den Ohren.
    Exitus.
    Ende des Experiments nach exakt sieben Minuten, vierzig Sekunden.
    Alle Symptome bei allen Versuchspersonen identisch.
    Tja, Herr Richter, das war es auch schon. Ich würde vorschlagen, sofortiger Abtransport zur Uni Jena, was meinen Sie?“, fragte Doktor Ding Schuler und lächelte verbindlich: „Jetzt vielleicht einen guten Bohnenkaffee zur Stärkung?“
    Hauptsturmführer Doktor Kurt Schmelz nickte, verneinte dann stumm und gab Liebig ein Zeichen, Heinze hereinzuholen, damit er beim Einladen der Leichen in den BMW helfen könne.
    „Leider haben wir keine Krankenwagen hier“, sagte Doktor Ding Schuler, worauf Schmelz antwortete, das sei das geringste Problem, er werde seinen Dienstwagen und seinen Fahrer mit der Fahrt betrauen. Die Leichen werden im Kofferraum und auf der Rückbank verstaut, sobald sie verpackt seien: „Und Sie, Obersturmmann Heinze, Sie sind mir für den Transport verantwortlich! Das ist kriegswichtig, denken Sie daran!“
    „Jawohl, Hauptsturmführer, auf mich können Sie sich verlassen! Das wissen Sie ja!“, sagte Heinze, und legte sofort Hand an, dem Arzt beim Einwickeln der Leichen zu helfen.
    Schmelz verabschiedete sich mit einem Wink von den ernst blickenden Kollegen und ging langsam aus der Baracke.
    Auf dem Appellplatz blieb er stehen und spürte mit einem Mal die ganze Schwere seines Körpers.
    Er setzte sich in den Neuschnee und sah nach oben. Schnee im April!
    Es rieselte weiß. Unaufhörlich. Flocken tauten auf seinem Gesicht, kühlten es jedoch nicht.
    Ein lautes Geräusch, einen heftigen Schrei, er wünschte sich einen Granateneinschlag, er sehnte sich nach etwas, das wie an der Ostfront die Blockade löse, in der er sich auch dort nur allzu oft befunden habe, aber kein Offizier, kein Unteroffizier, kein Sturmmann, der aus Leibeskräften schrie: ‚Attacke, ihr Hunde! – Ihr Hunde, wollt ihr ewig leben?’
    Es blieb still um Hauptsturmführer Schmelz, still und leer blieb es um den Mann, dessen Uniform allmählich einschneite; hin und wieder das Tasten der Scheinwerfer, aber das Licht berührte ihn nicht, hin und wieder das Bellen und

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