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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Knurren der Hunde, aber sie holten ihn nicht. Niemand holte ihn, keiner setzte sich zu ihm.
    Hauptsturmführer Schmelz fand nichts, gar nichts, an das er sich lehnen konnte und so ließ er sich zur Seite fallen und verharrte in der Embryostellung, die Faust an den Lippen.
    Oh Gott, erbarme dich meiner! schrie der alte, todkranke Doktor Kurt Schmelz mit den Augen, während ihm die Zunge schwer am Gaumen faulte, oh Gott!
    Hast du mir diese Krankheit geschickt, damit ich mich selbst bestrafe, aber doch noch in den Himmel kommen darf? Was bin ich ohne Haut? Warum zeichnest du mir mit so harter Miene die Konturen nach? Es gibt doch keinen Verstand ohne Haut, und es gibt doch kein Außen ohne Innen.
    Er versuchte sich abzulenken, Schmelz wollte schon wieder verdrängen, er dachte an Wissen, an Wissen, das er sich erlesen hatte, er dachte an die moderne Psychologie, die vor einigen Jahren herausgefunden hatte, dass der Verstand eines Menschen mit seiner Haut eine Einheit bilde.
    Denke der Mensch etwas, das ihm peinlich ist, so werde die Haut bekanntlich rot, und andersherum signalisiere die Haut dem Verstand, wenn Gefahr in Verzug sei, wenn es zu heiß oder zu kalt sei, wenn die Existenz also in Gefahr sei.
    Didier Anzieu habe in seinen Forschungen erkannt, dass auch die Haut ein Ich habe, ein Bewusstsein. Dieses Haut-Ich stehe mit dem Ich des Verstandes in Kontakt: Schon weit vor der Geburt des Menschen, schon im Mutterschoß seien das Verstehen und das Erfühlen untrennbar miteinander verbunden.
    Eine Hautkrankheit verweise immer auf eine seelische Krankheit, die wiederum Ursache eines psychologischen Problems sei. Das Bewusstsein habe ein Problem, die Haut zeige es zwar der Umwelt, aber oft genug achte die Umgebung nicht darauf.
    Beginne die Haut nun irgendwann zu jucken, zu eitern, zu bluten und zu verschwinden, schabe also etwas unter der Haut so sehr an ihrer Innenseite, dass der Mensch es nicht mehr aushalte und sich die Haut selbst vom Leibe reiße, so sei dies oft genug das Bewusstsein, das Ich, welches da die Haut von innen malträtiere: Das Problem, welches Verstand und Seele zerstört habe, wolle heraus und sei schlicht zu gewaltig geworden.
    Erinnern, Verdrängtes zulassen, Vergangenheit eingestehen, das seien Umschreibungen für die lauernde Krankheit im Ich, die auch das Haut-Ich befalle, sobald der Mensch schwach sei, wusste Schmelz und dachte: Schwach zum Beispiel nach dem Verlust eines nahen Menschen.
    Ohne Haut lag er auf dem Bett. Im eigenen Sud. Wimmerte. Fetzen abgerissener Haut um sich.
    Weg, sich wegdenken, weg vom Erinnerten, Doktor Kurt Schmelz wusste, auch die fünf Sinne seien Bestandteile des Haut-Ichs, das befallen sei. Auch sie seien ihm abhanden gekommen, abgetrennt worden von ihm selbst.
    Seine Gehirntätigkeit habe ihn in diese Krankheit getrieben, bei vollem Bewusstsein habe er sich die juckende Haut abgerissen, deren Reste jetzt an ihm faulen würden und an deren Ränder sich jetzt Wundbrand entzünde.
    Er werde in den Tod getrieben vom eigenen Ich.
    Von den eigenen Erinnerungen.
    Doktor Kurt Schmelz wimmerte, röchelnd wimmerte er, ohne sich noch bewegen zu können.
    Die Augen waren ihm ohne Lider unbrauchbar, die Nase unterschied gar nichts mehr, hören konnte er lediglich das Rauschen des eigenen Blutes und schmecken und fühlen konnte er ja ohne Lippen und ohne tastende Haut an den Fingern auch schlecht; nein, es hatte ihn voll erwischt. Auf den letzten Metern hatte es ihn noch voll erwischt.
    Er hätte das Erinnern unterbinden müssen, aber er war dafür zu schwach gewesen.
    Und etwas zu unterbinden, das war ja nun mal auch nicht seine Art. Tatsachen zu schaffen, sie sichtbar zu machen, das war immer seine Art gewesen, doch sollte er nun noch weitermachen? Sollte er auch den Rest erinnern? War das nötig?
    Was macht man, dachte Doktor Schmelz: Wenn man sich selbst eine Krankheit ist?
    Was macht man dann? Macht man trotzdem weiter? Immer weiter? Bis zum letzten Atemzug? Erinnert man sich mit solch einer Hartnäckigkeit, wie es dieses schöne Mädchen aus dem Orient vorgemacht hatte, die tausend und ein Märchen hatte erfinden müssen, um nicht zu sterben? Soll ich der Wahrheit ganz auf den Grund gehen, so wie dieses Mädchen gelogen und betrogen hatte, nur um die Sonne noch einmal zu sehen? Und noch einmal und einmal noch? Ist das nötig? – Anna?
    Anna, warum hast du mich nur allein gelassen? – Schuld! Oh ja, Schuld sind ja immer die Anderen, das ist ja wohl klar!
    So

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