Letzte Haut - Roman
besetzten Le Mans und landeten in Südfrankreich. Die Wehrmacht wich von der Seine, die Befreiungskämpfe um Paris waren bald darauf entschieden, Rumänien als ehemaliger Verbündeter erklärte Deutschland den Krieg, die Slowaken begannen mit ihrem Aufstand, aber auch die Warschauer. Die Rote Armee nahm Bukarest ein, und im Zentrum des Reichs wurden die Todesurteile gegen die Attentäter verhängt, darunter auch das gegen den Chef der Kriminalpolizei, Arthur Nebe, und noch bis Ende April fünfundvierzig wurden fünftausend Politiker und Parteifunktionäre der Weimarer Republik verhaftet und in Konzentrationslager gebracht, soviel Angst hatten die Anführer der Deutschen mittlerweile vor ihrem Volk.
Die Briten griffen im September die Gotenlinie in Italien an, die Alliierten befreiten Brüssel, US Einheiten überschritten die Mosel und wenig später die Reichsgrenze bei Trier. Die Bulgaren waren im Volksaufstand, und die Dänen machten einen Streik. Die Rote Armee war in Warschau und wenig später in Reval. Im Westen begann die Schlacht um Arnheim, und wenig später wurde der Befehl zur Bildung des Volkssturms gegeben, und Stunde um Stunde wurden in Deutschlands Konzentrationslagern Millionen von Juden getötet, getötet und getötet.
Ernst Thälmann war schon einen Monat zuvor ermordet worden, jetzt sollten ihm die vielen eingesperrten Kommunisten folgen, die Anführer der Deutschen wussten, dass sie gescheitert waren. Sie schickten Kampfunfähige an die Front, sie töteten politische Gegner, Zigeuner und Juden, und am zehnten Oktober schlossen Einheiten der Roten Armee die Heeresgruppe Nord im Kurland ein. Französische Truppen befreiten im Oktober Bordeaux, sowjetische Soldaten besetzten Riga und drangen wenig später bei Goldap in Ostpreußen ein. Über die Karpaten kamen die Sowjets und eroberten die Tschechei, amerikanische Truppen waren in Aachen, und die Japaner wurden vor der philippinischen Insel Leyte vernichtend geschlagen. Und Rommel, der Fuchs, der tötete sich selbst.
Im November vierundvierzig gelang der Roten Armee der Durchbruch durch die deutschen Linien in Südungarn, der Anführer der Deutschen gab an sein letztes Aufgebot einen Durchhaltebefehl, die Tirpitz wurde versenkt, die Gestapo erhängte in Köln jugendliche Widerstandskämpfer, doch ein gewisser Doktor Kurt Schmelz fuhr am vierten Dezember vierundvierzig mit Glanz in den Augen in die Stadt Weimar ein, als wäre alles im Lot.
Aufrecht stieg er am vierten Dezember vierundvierzig aus dem Auto, und ein Lächeln trug er auf den Lippen, ein Lächeln, das allen ankündigte, er verdächtige sie alle und er, Hauptsturmführer Doktor Kurt Schmelz, Ermittlungsrichter der SS, er sei nun nicht mehr wegzubekommen! Er vertrete das Gesetz, und was Recht sei, werde auch Recht bleiben.
Wäre an diesem Tag nur Präsident Schmeißer vom Landgericht Stettin anwesend gewesen, der ihn einst suspendiert hatte, er hätte ihm lächelnd zugenickt und gesagt: Ganz recht, Schmeißer, ‚Jedem das Seine’!
Oder die Männer aus Posen, die ihn als Kameradenschwein eingestuft hatten.
Oder Obergruppenführer Krüger, der ihn in Krakau degradiert hatte, aber schau an, der war ja da! Und wie ernst er dreinblickte! Und neben ihm Obergruppenführer Berger, mit dem Schmelz auch noch eine Rechnung offen hatte.
Du, hätte er am liebsten gerufen, du und deine verruchte Brigade Dirlewanger, du! Doch brauchte er es ja gar nicht zu rufen, seine Augen schrien schon höhnisch genug.
Nur schade, dass Himmler sich hatte vertreten lassen! Und Pohl war nicht da! Pohl, die feige Sau! Aber Sauckel war da. Und Glücks. Und wie sie alle hießen! Da seien sie und glotzten böse und gemein, stellte Schmelz fest und dachte: Ach, wie gut, dass jeder weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!
Kurz blieb er an diesem vierten Dezember vierundvierzig auf der Treppe des Eingangsportals des Weimarer Gerichtsgebäudes stehen, drehte sich instinktiv um und musterte den weitläufigen Platz, während seine beiden Leibwächter sich eng an ihn drängten.
„Was gibt’s?“, fragte Tarnat, der hinter Schmelz stehen geblieben war und dessen Blick er mit den Augen folgte. Er sah über die mittägliche Reglosigkeit des Platzes, über den Neuschnee, der kaum Spuren aufwies und im grellen Sonnenlicht funkelte. Tarnat glaubte, Schmelz wolle noch einmal die Friedfertigkeit aufnehmen, ehe es zur Mutter aller Schlachten gehe. Er atmete hörbar auf und tat, als wäre er mit Kraft und Energie aufgepumpt
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