Letzte Haut - Roman
Untersuchungsbefehl halten. Niemand im Lager kennt unseren wahren Grund, ich will ihn auch solange wie möglich geheim halten, damit niemand im Lager gegen uns agieren kann. Was keiner weiß, kann nicht verhindert werden. Daher ist Ihnen auch noch nicht der Inhalt unserer Mission erklärt worden. Ich will ihn Ihnen hiermit offenbaren. Zu niemandem ein Wort! Von unserer Aufgabe wissen bisher nur vier Männer: der Reichsführer SS, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, der Chef der Kripo und der Gerichtsherr des Wehrkreises neun.“
„Meine Fresse“, flüsterte Liebig: „Alles Gruppenführer und Obergruppenführer und natürlich nicht zu vergessen, der Reichsführer persönlich! Mein Fresse! Meine arme Fresse.“
„Sowie ich und nun auch Sie und Sie! – Seit längerem vermutet der Obergruppenführer Prinz zu Waldeck Pymont Unregelmäßigkeiten in seinem Wehrkreis. Hier, im Lager Buchenwald. Er will aber eine saubere SS in seinem Bezirk, daher sind ihm die Korruptionsvorwürfe gegen Karl Koch, den Erbauer und ersten Lagerleiter von Buchenwald, ein Dorn im Auge. Und da ich in gewissen Kreisen als unbestechlicher Korruptionsjäger bekannt bin, kam der Obergruppenführer auf mich, holte mich von der Ostfront und gab mir den Auftrag, Beweise gegen Koch zu finden. Unterschlagungen, egal was. Die Geheimhaltung war allerdings nötig, weil Koch der Freund von Obergruppenführer Pohl ist. Soweit klar?“
„Ja, wie Kloßbrühe! Und Pohl ist nichts weiter als der drittmächtigste Mann im Reich. Also befinden wir uns selbst lediglich in akuter Lebensgefahr“, stellte Tarnat fest, während Liebigs Augen immer größer wurden. Seine Migräne war verschwunden.
„Sowieso“, meinte Schmelz: „Wir haben aber Rückendeckung von Waldeck Pymont und von Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Kameraden. – Man kann alles durchziehen, Kameraden, wenn die Deckung stimmt! Und wir sind bestens abgesichert.“
„Warum denn von dem, was interessiert denn den Kaltenbrunner die Wirtschaftslage in den Lagern?“, fragte Liebig.
„Kaltenbrunner interessiert ganz was anderes!“, sagte Tarnat, der sofort begriffen hatte: „Kaltenbrunner ist eine der höchsten Nummern im Reich. Wenn Pohls Nummer weg ist, dann wird er dessen Nummer tragen, einfachste Mathematik! Wenn Pohls Freund Korruption nachgewiesen werden kann, dann wird das auf Pohl selbst zurückfallen. Und Korruption ist Sabotage gegen das Reich. Also Hochverrat. Und Hochverrat wird mit dem Tod bestraft. – Falls Koch Dreck am Stecken hat, soll er dazu gebracht werden, gegen Pohl, der ihn wahrscheinlich deckt, auszusagen, und damit ist die rechte Hand von Himmler abgeschlagen und er muss mit der linken arbeiten. Mit Kaltenbrunner! Dieser Österreicher ist ein Fuchs, kein Wunder, dass dem die Sicherheit untersteht.“
„Und diese Untersuchungen hat Himmler zugelassen und befördert sie auch noch?“, fragte Liebig.
„Was bleibt ihm übrig? Der Erbprinz will eine saubere SS in seinen Reihen, und Kaltenbrunner will das, offiziell, natürlich auch. Und damit nehmen Sie Himmler nur beim Wort. Die haben den Reichsführer SS ganz schön an die Wand gedrängt“, sagte Tarnat: „Letztlich gewinnt also nicht das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, das Pohl untersteht, sondern das Reichssicherheitshauptamt, das Kaltenbrunner untersteht. Sicherheit schlägt Wirtschaft!“
„Meine Fresse“, flüsterte Liebig: „Was geht da oben bloß ab? – Als nächstes drückt Kaltenbrunner dann Himmler selbst weg, oder was?“
„Spekulationen, meine Herren, aber im Grunde richtig erfasst!“, sagte Schmelz, dem dieser Zusammenhang selbst noch nicht ganz klar gewesen war: „Außerdem hält der Erbprinz, der ja ein Duz-Freund von Himmler ist, Pohl für einen einfältigen Bauern, der ihm nicht das Wasser reichen kann. Leider ist auch Pohl einer der wenigen Duz-Freunde vom Reichsführer SS, und daher ist noch nicht abzusehen, wie Himmler reagieren wird. Falls der Reichsführer das alles überhaupt durchschaut.“
„Und, wenn ich noch anfügen darf, Kaltenbrunner hat einen direkten Draht zum Führer. Die reden persönlich miteinander. Kaltenbrunner braucht Himmler gar nicht mehr“, sagte Tarnat und überlegte einen Augenblick, ob Kaltenbrunner vielleicht der neue Anführer der Deutschen sei, falls dem alten etwas zustieße. Dann wäre schon wieder ein Österreicher ganz vorne! Tarnat atmete als gebürtiger Berliner hörbar aus.
„Ich kapiere“, sagte Liebig: „Alle
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