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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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geheim. Und dort werden sie nicht etwa zur Umsiedlung vorbereitet, sie werden, in diesen Lagern, vor unseren Nasen, sie werden alle, alle! umgebracht. Systematisch!“
    „Systematisch?“, fragte Tarnat, und Liebig fügte hinzu: „Alle?“
    „Alle! Es ist wahr, was man sich erzählt.“
    „Wie denn?“
    „Ich glaube, verbrannt. Verbrannt, meine Herren, verbrannt!“
    „Massenmord!“, stellte Tarnat mit sachlicher Stimme fest.
    „Ja, Massenmord“, sagte Schmelz: „Und nicht etwa an Schuldigen, nein, an völlig Unschuldigen, wenn wir mal die Rassengesetze beiseite lassen, die sowieso keine juristische Grundlage haben, aber das habe ich niemals zu Ihnen gesagt!“
    „Sie meinten vorhin also“, sagte Liebig, dem das alles ein wenig zu schnell ging: „Die Mörder, das ist das Wachpersonal, und die Inhaftierten, das sind die Unschuldigen?“
    „Absolut, ich gratuliere“, sagte Schmelz, dem gar nicht klar war, dass er damit die Worte von Pister wiederholt hatte.
    „Dann müssen wir also gegen die ganze Wachmannschaft vorgehen? Paragraph zweihundertelf des Reichsstrafgesetzbuches. Vielleicht auch zweihundertsechsundzwanzig?“, meinte Tarnat mehr zu sich selbst
    „Vergessen Sie es, Untersturmführer, da kommen wir nicht ran!“
    „Wieso?“, fragte Liebig und unterbrach erneut die massierenden, kreisenden Bewegungen seiner Fingerspitzen.
    „Weil selbst der Lagerleiter sich vor meinen Ohren auf die Befehle von Kaltenbrunner und Pohl berufen hat. Und die wird es auch tatsächlich geben. Und Kaltenbrunner und Pohl werden die Verantwortung einfach weiter nach oben schieben. Sie werden sich zweifelsohne auf Befehle von Himmler und vom Führer selbst berufen! Verstehen Sie? Davon müssen wir ausgehen.“
    „Sie meinen, der Führer selbst …?“, fragte Tarnat.
    „Davon ist auszugehen!“, sagte Schmelz: „So etwas läuft doch nicht ohne Befehl. Befohlener Massenmord, so nenne ich das. Befohlen von ganz oben. Und wir kommen nicht heran, nicht einmal mit juristischen Mitteln!“
    „Ich verstehe immer weniger“, gab Liebig zu: „Warum nicht einmal mit juristischen Mitteln?“
    „Selbst, wenn wir den Verursacher anklagen, dann ist der Verursacher in diesem Falle der oberste Gerichtsherr. Verstehen Sie denn nicht? Wenn der Führer will, dann ändert oder ersetzt er jedes Gesetz, wie er es will und braucht.“
    „Auf den Führer!“, brüllte ein Sturmbannführer an einem anderen Tisch und nahm Haltung an. Sofort folgten ihm die etwa dreihundert Männer, die sich noch im Saal befanden, und wie auf ein Kommando hin erklang es im Chor: „Auf den Führer!“
    Die Getränke wurden runtergekippt, und auch die drei Sonderermittler setzten sich wieder, wobei Doktor Tarnat dem Oberkellner schnell ein Zeichen gab, noch drei doppelte Kognak zu bringen.
    Der Saal des Hotels war mit langen Tischreihen gefüllt, an deren Enden sich weitere Tische befanden. Überall lagen weiße, gebügelte Tischtücher auf. Kristallgläser, Meißener Porzellan und Silberbesteck waren exakt ausgerichtet worden, wurden nun aber unauffällig von Kellnern abgeräumt, wobei es nicht wenige hohe SS Größen gab, die das ein oder andere Silber heimlich in die Aktentaschen fallen ließen. Tarnat sah es genau, und am liebsten hätte er über die Tische hinweg gebrüllt, dass dies Diebstahl sei, aber er war zusammen mit Liebig und Schmelz mit Abstand der rangniedrigste Offizier im Saal. Er sah nach oben und ergötzte sich lieber an den vielen strahlenden Kristallleuchtern, ehe er die alten Gemälde an den Wänden bestaunte, die alle breite Goldrahmen hatten.
    „Nein, ist klar, den Führer kann man nicht anklagen, schon aus moralischen Gründen nicht“, sagte Liebig ein wenig abwesend: „Aber irgend etwas muss man doch tun.“
    „Ja“, stimmte Schmelz zu und hob das Glas, kaum dass der Kellner es auf den Tisch gestellt hatte: „Meine Herren, auf eine gute Zusammenarbeit! Ich hoffe, ach was, es gibt nur rauf oder runter, und ich sage, runter mit dem Kognak, aber rauf mit uns! Zum Wohl!“
    „Zum Wohl“, sagten Tarnat und Liebig. Sie standen auf und zu dritt durchwanderten sie die prunkvolle Eingangshalle des ‚Elephant‘, ehe sie die breiten Stufen des Hotelgebäudes heruntergingen und sich auf dem Marktplatz ein wenig die Beine nach dem schweren und guten Essen vertraten, wobei Schmelz Zigaretten ausgab, die ein Geschenk des alten Erbprinzen zu Waldeck Pymont waren.
    „Zunächst“, sagte Schmelz, „werden wir uns an unseren

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