Letzte Haut - Roman
nach Heinz’ Geschmack. So erreiche man alles, einfach alles, glaubte der Junge, und eines war ihm auch schon klar geworden: Dem Obersturmführer durfte man nicht mit Schleimereien kommen, da wurde der fuchsteufelswild! Heinze grinste, sah kurz in den Rückspiegel, nein, die Herren wurden nicht hin und her geworfen. Sie saßen ruhig auf den weichen Polstern und hantierten mit Aktenpapier herum. Aktenpapier, na, Heinzes Sache wäre das ja nicht. Er war glücklich, hier am Steuer sitzen zu können, und er hatte auch schon gehört, dass es ab und an sogar Fahrten nach Waldeck hinter Frankfurt und dass es sogar welche in die Reichshauptstadt geben werde. Da würde er ja die Karre gut ausfahren können, oh Mann, wie sehr er sich schon darauf freute! Raus hier, raus aus diesem ganzen Lageralltag! Rein in die Reichshauptstadt! Die ganzen Mädels, die es da gab, oh ja, er war auf dem Weg nach oben. Obersturmmann Heinze, dachte er, du wirst eine Freude für deinen alten Herren sein! Und deine alte Mutter, die wirst du vor Glück so richtig zum Heulen bringen. An Schmelz halten, immer nur an Schmelz halten!
Er gab wieder Gas, war der letzte Kilometer vor dem Haupttor doch wieder betoniert. Heinze kannte seine ehemaligen Kameraden, er wusste, sie würden das Tor schon aufreißen, wenn er mit fünfzig Kilometern die Stunde genau auf sie zufuhr. Er wollte ihnen einen ordentlichen Schrecken einjagen und erst auf den letzten Metern ein wenig abbremsen, aber nur aus Höflichkeit, denn sein Fehler würde es nicht sein, wenn das Tor nicht rechtzeitig offen stünde. Frech grinste der Junge, versteifte die Unterarme und hielt das Lenkrad sehr fest. Das Tor kam in Sicht, schon stürzten die Wachposten heraus, stülpten sich noch schnell die Mützen über, erkannten den nagelneuen Dienstwagen ihrer Einheit und rissen das Haupttor zu beiden Seiten auf. Doch als Heinze an ihnen vorbeifegte, zeigten sie ihm heimlich die Faust. Übermütig hupte der Obersturmmann und erhöhte das Tempo auf der Hauptstraße des Äußeren Lagers wieder, die bis zum Endbahnhof von Buchenwald reichte, von dem aus der so genannte Karachoweg zum Inneren Lager führte. Wer wohl auf diesen Namen gekommen war? Heinze überlegte ein wenig, bis er sicher war, es müsse einer der Häftlinge gewesen sein. Klar, die wurden doch immer von der Wachmannschaft der Waffen SS mit Gewehren und ‚Karacho! Karacho!‘ – Schreien angetrieben, kaum dass sie die Waggons verlassen hatten. ‚Karacho, Karacho!‘ ahmte der Junge im Stillen nach: ‚Karacho, Karacho!‘
„Noch nicht ins Schutzhaftlager“, sagte Schmelz: „Zuerst zum Kommandanten, Heinze.“
„Jawohl, Obersturmführer“, sagte Heinze, bremste den Wagen hart auf dem Karachoweg ab und riss das Steuer nach rechts herum, wobei er erschrocken im Rückspiegel mit ansah, wie sein Chef gegen dessen Stellvertreter geworfen wurde. Aber dafür konnte er nichts, beim besten Willen, nein, da hätte der Chef vorher mal etwas sagen können! Heinze spürte, wie er rot wurde, aber nichts kam von seinen Vorgesetzten, kein Wort, nicht einmal ein unterdrückter Fluch. Er brachte den Wagen zum Halten, sprang raus, öffnete dem Untersturmführer im Vorbeirennen die Tür und riss Sekunden später die rechte hintere Wagentür auf, damit Obersturmführer Schmelz bequem aussteigen konnte.
Obersturmmann Heinze hob an der Tür den Arm hoch, woraufhin er von Schmelz hörte, einmal am Tag zu grüßen, das reiche.
„Ich stelle Ihnen nun den Kommandanten von Buchenwald vor, den jetzigen, Standartenführer Pister. Ich hoffe, er wird einen Rundgang mit uns machen können, damit wir zu dritt einen Überblick über das gesamte Lager erhalten“, sagte Schmelz: „Aber seien Sie vorgewarnt, meine Herren, nichts für schwache Nerven, Liebig!“
Liebig nickte, sagte aber nichts. Er folgte Schmelz und Tarnat zur Kommandantur, während Heinze sich nicht sicher war, was er machen sollte. Zum Parkplatz? Warten? Zu viert würden sie nicht in den Wagen passen. Das war klar! Sollte er schon mal zum Schutzhaftlager fahren und dort am Tor warten? Kleinen Schnack mit den ehemaligen Kameraden? Oh ja, darauf hätte er Lust! Ihnen den Wagen vorzuführen, das wäre doch eine Gaudi!
Obersturmmann Heinze grinste bei dieser Vorstellung, sah dann aber auf dem linken Kotflügel einen Fleck. Er polierte ihn mit dem Jackensaum der Uniform weg, wobei sein Gesicht höchste Konzentration ausdrückte. Schmelz, dachte er dabei, an Schmelz halten. Halt dich an Schmelz,
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