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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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und alles wird gut!
    So oder ähnlich habe der junge Heinze damals bestimmt gedacht, meinte der alte Schmelz heute. Den hat doch nur das Auto interessiert, dachte er, der war mir ja wie ein Hund, zutraulich und bereit, jeden Befehl auszuführen. Dumm müsste man sein, dumm und glücklich. Das wahre Glück heißt Dummheit! Und selig, wer vergessen kann oder sich nicht zu erinnern braucht. Oh Mann, während in Königsberg Brigadeführer Professor Clauberg Himmler mitteilte, er habe eine nichtoperative Methode zur Sterilisation von Frauen entwickelt, ließen wir uns alles im Lager zeigen. Pister hatte seinen Widerstand völlig aufgegeben, er führte uns selbst überallhin. SS Kasernen, Bahnhof, Truppenkasernen, Truppengaragen, Gustloff Werke zwei, zentrale Bauleitung, Sonderlager Fichtenhain, sogar die Isolierbaracke für prominente Häftlinge. Den Steinbruch, einen Rundgang durch den Zoo der SS. Und dann das Innere Lager mit dem so genannten Kleinen Lager. Arrestzellenbau, Sonderlager für die Sowjets, Pferdestall, wo die Sowjets erschossen wurden, die Waffenmeisterei, den SS-Musikzug, aber nein, der war außerhalb des Inneren Lagers! Da war ja dieser Zaun! Im Schutzhaftlager waren die ganzen Blöcke mit den Häftlingen. Die Häftlingsbaracken, der Häftlingskrankenbau und die verdammte Fleckfieberversuchsstation. Das Hygieneinstitut der Waffen SS. Desinfektionsgebäude, Effektenkammer mit Kleider- und Gerätekammer. Deutsche Ausrüstungswerke. Und natürlich die uralte Goethe-Eiche. Goethe, der auf dem Ettersberg so viel Theater geschrieben hat! Und Schiller auch. Das schreckliche Ende von ‚Maria Stuart‘! Am Ende dann das Krematorium mit den Arztzimmern dieses Verbrechers Doktor Hoven! Und ganz zum Schluss dann die SS Führersiedlung, und da zeigte dann Pister doch so ganz nebenbei auf eine ausladende Villa und sagte: ‚Die hat sich Koch bauen lassen. Seine Frau wohnt heute noch darin.‘ – Die habe sich Karl Koch bauen lassen, seine Frau Ilse wohne heute noch da. – Und ich spürte, wie meine Kehle augenblicklich ausdörrte und mir das Schlucken für ein paar Momente unmöglich wurde. Das war keine Villa! Das war ein Schloss! Ein Schloss, dass sich ein normaler Waffen SS Offizier hatte bauen lassen. Wovon? Ein Mann, der vor dem Krieg mit seiner Frau in Dresden Coupons gesammelt hatte, um mal ins Theater gehen zu können. Wovon? Ich weiß noch, dass ich meine Augen kurz schließen musste, weil ich so blödsinnig gestarrt hatte. Bestimmt noch dümmer als Heinze, wenn der mal wieder alles hatte richtig machen wollen, es tatsächlich aber nur versaute!
VIII
    „Die hat sich Koch bauen lassen“, sagte Pister: „Seine Frau, genannt die Rote Hexe von Buchenwald, die lebt heute noch drin. Nymphomanin! Wenn Sie mich fragen, nichts weiter als eine Hure, die Dame! – Ja, wenn Sie mich nun entschuldigen wollen? – Mein Gott, schon wieder drei Stunden weg! – Die Büroarbeit, Sie verstehen?“
    „Aber sicher“, sagte Schmelz mechanisch, der sich von der Villa Koch nur mühsam abwenden konnte, und mit heiserer Stimme hinzufügte: „Wo wir gerade dabei sind, für uns müssen Sie auch irgendwo drei Büros freimachen, und wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir gerne auch hier im Lager wohnen. Ist bei den Truppenkasernen noch was frei?“
    „Sie wollen hier wohnen? Wenn ich wählen könnte zwischen dem Hotel ‚Elephant‘ und dem KL, also ich würde …“
    „Standartenführer, wir sind nicht zum Urlaub hier. Wir haben Ermittlungen anzustellen, aber das wissen Sie doch“, sagte Schmelz, dem plötzlich die entsetzten und leidenden Gesichtsausdrücke seiner Kollegen auffiel. Hatte er ihnen zu viel zugemutet? Gleich das ganze Programm, hätte er sie lieber nach und nach an das ganze Lager heranführen lassen sollen? Aber wie hätte er das Ausmaß ahnen können? In der Versuchsstation gegen Fleckfieber verkrüppelte Insassen, denen der Mund zugebunden war, damit sie nicht schrien vor Schmerzen, weil ihnen buchstäblich schwarze, verfaulte Gliedmaßen vom Körper abfielen. Insassen, die absichtlich infiziert wurden, die unbeschreibliche Qualen erlitten und die nun nicht wieder geheilt werden konnten. Oder der Arrestbunker, wo sie einem Mann gerade die Fingernägel mit einer Zange herauszogen! Oder der Erschießungsort gleich hinter den Pferdeställen. Oder die Steinkarren und der Hängepfahl vor dem Krematorium, an dem so ein armer Teufel an den Zehen aufgehängt war. An den Zehen! Ein Zeh war herausgerissen,

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