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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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lauter, aber er packte aus. Von einem Moment zum anderen war er ein gebrochener Mann, der nichts mehr zu verlieren hatte. Karl Koch, der seiner Ehefrau hörig gewesen sei, der die Treue seiner Frau für das höchste Gut gehalten habe, der seine Frau wie eine Heilige geliebt habe, sei von ihr nun vernichtet worden, erkannte Schmelz, vollständig vernichtet. Doktor Kurt Schmelz lächelte nicht, während der Standartenführer auf alle Fragen antwortete und auch Oswald Pohl schwer belastete. Schmelz blieb ernst und sah schweigend zu, wie der völlig verstörte Karl Koch als erster aus dem Gerichtssaal geführt wurde, nachdem der Richter eine halbstündige Pause angeordnet hatte.
    Karl Koch gestand am nächsten Tag einen Großteil der Unterschlagungen, der zweiundsiebzigjährige Doktor Kurt Schmelz erinnerte sich in seiner Frankfurter Wohnung genau daran, und für einen Moment war er noch einmal stolz auf sich, auf sich und auf seinen genialen Schachzug.
    Doch wie flüchtig war Stolz doch! Zumal, wenn er einen selbst betraf. Wie flüchtig und stinkend, Schmelz glaubte, den Gestank deutlich wahrzunehmen, den er ausschied, während er auf dem Bett vor sich hin siechte und verschied.
    Und hieß es nicht zu Recht, Eigenlob stinke? Zu Recht! Der alte Schmelz schluckte schwer.
    Sich an Glücksmomente zu erinnern, dachte er, macht unglücklich.
    Der Hauptbelastungszeuge wurde am nächsten und letzten Verhandlungstag nicht mehr aufgerufen, Doktor Kurt Schmelz konnte sich darauf konzentrieren, entspannt auf seinem Zeugenstuhl zu sitzen und siegesgewiss zu wirken, während seine zweiundzwanzig Zeugen nacheinander aufgerufen wurden, und es war nicht einer da, nicht ein einziger, der umfiel. Kurt Schmelz sah immer wieder zum Käfig, in dem die Angeklagten hockten. Karl Koch war besiegt. Die vielen Vergehen der Ehefrau hatten dem Mann den Willen schon jetzt gebrochen. Ihm sei der Sinn seines Lebens abhanden gekommen, nahm Schmelz an. Es wäre interessant, herauszufinden, inwieweit diese Bestie in Frauengestalt die Bestie in Männergestalt gelenkt habe, meinte Schmelz, denn heiße es nicht immer, hinter jedem großen Mann stecke eine kluge Frau, aber halt, nein! Koch war ja nur ein armes Würstchen, ein schäbiger Verbrecher, und Ilse Koch, na ja, für so einen Menschen gab es wohl keinen Begriff, keine Beschreibung. Und so hing Kurt Schmelz weiter seinen Gedanken nach, während Liebig ins Kreuzverhör genommen wurde. Die Büchse der Pandora sei das Weibliche selbst, meinte Schmelz, das Weibliche solch einer wie der da, die doch alles andere als eine Frau sei!
    „Konkret, Zeuge, genaue Zahlen, wenn ich bitten darf!“, sagte der Verteidiger Piepenbrock.
    „Das dürfen Sie!“, sagte Liebig, wobei er versuchte, heute eine ähnliche Eigendynamik zu entwickeln wie gestern sein Vorgesetzter: „Das ist Ihr Recht. Wenn ich sage, es waren über zehntausend Krankenakten, die mit dem Vermerk ‚plötzlicher Herzstillstand‘ versehen waren, dann meine ich konkret zehntausendvierhundertachtundsechzig Häftlinge, die durch den Chefarzt Doktor Hoven im Verlauf seiner Tätigkeit in Buchenwald umgebracht wurden, umgebracht auf persönlichen Befehl von Standartenführer Karl Koch.“
    „Wenn ich unterbrechen darf, Chefrichter Ende“, mischte sich Staatsanwalt Breithaupt ein und sprach den Angeklagte direkt an, ohne auf das Einverständnis des Richters zu warten: „Angeklagter Koch, stimmt das?“
    „Kann schon sein“, sagte Koch leise.
    „Ich fragte, ob das stimmt! Ja oder nein?“
    „Ja.“
    „Ich danke dem Gericht, bitte fahren Sie fort, Herr Zeuge“, sagte Breithaupt und nickte Liebig zu.
    „Und wenn ich sage, wir haben fast achttausend Berichte mit der Notiz ‚auf der Flucht erschossen‘ gefunden, dann meine ich konkret siebentausendneunhundertvier solcher Berichte, die Zeugnis dafür sind, dass Martin Sommer oder dessen Helfershelfer die Häftlinge ermordet hat, und dies natürlich auch auf persönlichen Befehl von Karl Koch hin, der für solche Befehle nicht legitimiert war, hohes Gericht“, sagte Liebig, machte eine Pause, in der der Staatsanwalt erneut Gelegenheit fand, den Angeklagten Koch mit dieser Aussage zu konfrontieren: „Entspricht das den Tatsachen, Angeklagter Koch? – Und bitte, ein einfaches Ja oder Nein genügt.“
    „Ja.“
    „Wie bitte? Wir können Sie hier nur schwer verstehen. Sprechen Sie lauter“, forderte Ende und hielt den Hammer schon griffbereit.
    „Ja, verdammte Scheiße, ja und nochmals ja!“,

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