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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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herausgerissen durch das eigene Körpergewicht. Tiere in Uniform! Und das Krematorium selbst! Die Leichenberge hinter dem schwarzen Zaun, weil man mit dem Verbrennen nicht nachkam. Schmelz fing einen Blick von Liebig auf, dessen Gesicht kalkweiß geworden war. Schmelz bemerkte das Zittern der Hände des Mannes, obwohl er sie tief in den Uniformtaschen vergraben hatte. Der klapperte doch nicht mit den Zähnen? Doch! Tatsächlich!
    „Kommen Sie, Liebig“, sagte Schmelz, kaum dass Pister weg war: „Setzen Sie sich hier auf den Stein, kommen Sie, stützen Sie sich auf mich. Na, los! Geben Sie schon her den Arm.“
    „Meine Fresse“, flüsterte Liebig immer wieder, während er von Tarnat und Schmelz zu einem Findling gebracht wurde, auf den sie ihn setzten: „Meine arme Fresse!“
    „Haben wir alles gesehen?“, fragte Tarnat. Er zog an einer Zigarette und gab sie dann weiter. Es war die letzte, die sie im Augenblick hatten, obwohl jeder von ihnen vor drei Stunden noch eine volle Packung dabei gehabt hatte: „Ich meine, woher sollen Sie das wissen. Ich meine nur, ich war ja mit Arthur Nebe auf der Jagd nach Adolf Seefeld, dem zwölffachen Kindsmörder von Mecklenburg. Dreiunddreißig bis fünfunddreißig war das, Sie erinnern sich vielleicht? Der hat seine Opfer ja in Stücke zerfetzt und die Teile an Kirchentüren genagelt, während er als Hilfsarbeiter durch Brandenburg und Mecklenburg zog, aber das, das war ja gar nichts! Gar nichts im Gegensatz hierzu!“
    Ihm kamen die hungernden Insassen ins Bewusstsein, die in den Blöcken lagen, weil sie zu schwach zum Arbeiten waren. Zum Arbeiten und zum Essenfassen! Insassen, die unter den Augen der anderen verhungerten. Und wie Pister das abgetan hatte! Am liebsten wäre Tarnat ihm an die Gurgel gegangen, aber wer war er denn! Doch kein Revoluzzer oder gar Kommunist! Er war nichts anderes als ein kleiner Beamter, der vorerst eben nicht begreifen konnte, dass das alles einen Sinn hatte und auf Geheiß des Führers geschah. Er wusste, Begreifen war auch nur eine Frage der Zeit. Und wer begreife, der könne das Begriffene dann auch abtun. Schmerzhaft sei nur der Prozess des Erkennens, der aber, wenigstens das sei sicher, begrenzt sei. Der überstanden werden könne. Er atmete tief durch. Nein, er wollte nur noch die paar Monate bis zur Pension herumbekommen, aber warum Nebe nun ausgerechnet ihn hierher geschickt hatte? Tarnat nahm die Zigarette, die er von Schmelz bekam, und rauchte sie bis zu den Fingern, ehe er die Kippe wegwarf.
    „Sie entschuldigen mich kurz“, sagte er monoton, drehte sich um und lief ein paar Schritte ins Wäldchen, das die Führersiedlung vom Rest des Lagers abtrennte, ehe er aus voller Kehle schrie: „So eine gottverdammte Scheiße! Scheiße! Scheiße und nochmals Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße!“
    Einige Minuten später kam er wieder und entschuldigte sich für seinen Ausfall.
    „Das macht nichts. Lassen Sie es raus, das ist immer besser“, sagte Schmelz, der keinerlei Emotion spürte. Weder hatte sich während des gesamten Rundgangs sein Herzschlag beschleunigt, noch war ihm auch nur ein einziges Mal kalt oder heiß geworden. Nichts, er empfand kein Gefühl der Wut, der Trauer oder des Entsetzens. Für Obersturmführer Doktor Kurt Schmelz waren das alles Tatsachen, die nicht mehr zu ändern waren. Es waren nicht seine Tatsachen, und deshalb betrafen sie ihn auch nicht. Schmelz hatte vor, da ganz andere Tatsachen zu schaffen. Praktisch gesehen, fand er, sei ja das ganze Lager voller Straftaten, und es gebe bestimmt einige, die nicht befohlen wurden. Und um diese Straftaten wolle er sich kümmern. Diese Straftaten waren veränderbar. Schmelz verstand mit einem Mal, was sich ihm da für eine Chance bot, denn war es nicht so, dass eine Krähe der anderen glich? Er könnte in allen, allen!, Lagern Beweise suchen und finden. Dieser Koch könnte lediglich der Anfang sein, nichts weiter als der Anfang! Sein Name, der Name Kurt Schmelz, könnte, wenn Kaltenbrunner wirklich durchzog, was Tarnat vermutet hatte, eines Tages ganz oben stehen. Wenn er es schlau anstellte, dann könnte er Justizminister werden und Kaltenbrunner des Anführers Nachfolger. Und dann, dann würde doch noch eine objektive Rechtsprechung siegen, denn dafür stand er ja ein, unbestechlich und unparteiisch zu sein! Das Gesetz musste getrennt sein von der Politik, das musste einfach so sein. Das würde er Kaltenbrunner dann schon klar machen, denn niemals darf einer alles

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