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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Belgien. Oder Norwegen? Oder Finnland? – Keine Ahnung“, sagte Tarnat leise, woraufhin niemand mehr etwas zu sagen wusste.
    Ihnen ging allen dasselbe durch den Kopf, aber es auszusprechen wagte keiner von ihnen. Schließlich durchbrach Tarnat selbst das Schweigen und fragte Schmelz, ob er Familie habe.
    „Noch nicht“, sagte Schmelz: „Als ich jung war, wollte ich so schnell wie möglich Karriere machen. Dann hätte ich Frau und Kindern schön was bieten können. – Ich stamme ja aus einem armen Haus.“
    „Als ich jung war“, spottete Tarnat und sagte dann: „Sie mit ihren dreiunddreißig Jahren!“
    „Vierunddreißig, wenn’s recht ist“, hielt Doktor Kurt Schmelz lächelnd dagegen.
    „Dann eben vierunddreißig“, sagte Tarnat und gab eine Literflasche mit kaltem Kaffee herum.
    „Der routinierte Observierer!“, sagte Liebig anerkennend und nahm die Flasche, trank einen Schluck und reichte sie an Heinze weiter, der aber ablehnte und sagte: „Noch einen Schluck Kaffee und ich drehe durch! Firma dankt. Bloß keinen Kaffee mehr.“
    Er hielt die Flasche Schmelz hin, der eigentlich auch nicht trinken wollte, es sich jedoch anders überlegte.
    „Meine Herren, jetzt wird es spannend!“, sagte er: „Ich bin davon überzeugt, dass es in dieser Nacht losgeht. Fünf Tage ist genau die Zeitspanne, die der Brief hin und Koch zurück braucht, denke ich. Überprüfen Sie noch einmal die Pistolen und halten Sie sich bereit. Wir wechseln uns alle halbe Stunde mit der Beobachtung ab. Ich fange an, ruhen Sie sich kurz aus, vermeiden Sie es aber, Geräusche zu machen. – Ab jetzt herrscht Rauchverbot.“
VI
    Die Wolkendecke riss auf und schnell wurde die Nacht sternenklar, in der ein Halbmond kräftig schimmerte. Schmelz sah zu seinen Männern, die mit geschlossenen Augen, versteckt im Unterholz, an Baumstämmen gelehnt saßen. Sie waren sofort eingeschlafen, und Tarnat ließ ein leichtes Schnarchen hören. Schmelz ging vom Kiesweg zurück ins Versteck und sah auf einmal ein Erlebnis von der Ostfront vor sich. Sie hatten sich einen zweitägigen Kampf mit einer sowjetischen Einheit geliefert, beide Seiten waren erschöpft, versorgten die Verwundeten, und sein Kamerad Müller aus Heiligenhafen, irrsinnig vor Angst und Sucht, steckte sich plötzlich neben Schmelz eine Zigarette an, inhalierte tief, ohne die Glut mit den Händen abzuschirmen, bevor er jäh in sich zusammensackte. Ohne ein Wort, kein Schrei und kein instinktartiges Werfen der Arme. Das dampfende Blut, das der Leiche aus dem Kopf auf die Uniform von Schmelz tropfte, der Minuten lang regungslos hockenblieb. Die Leiche an sich gelehnt und zusehend, wie ihm das Blut aus dieser unscheinbaren Wunde auf seiner Uniform festfror. Dieses gefrorene Blut, das Schmelz später von seiner Uniform abkratzen musste, es gebe so Dinge, es gebe so Sachen, meinte Doktor Kurt Schmelz, die solle man nur mit ganzer Konzentration machen. Eine davon sei, die Umgebung im Auge zu behalten.
    Er hielt die Luft an und lauschte, nichts als das leise Schnarchen, ein Kleintier im Gebüsch, in der Ferne brüllte einer der Braunbären auf, und über allem rauschten die Buchen. Schmelz atmete durch den Mund aus, weil er nur so geräuschlos Luft ausstoßen und einholen konnte, ehe er über sich selbst grinsen musste. Damals war er doch tatsächlich zum Kompaniechef gekrochen und hatte ihm vorgeschlagen, die Luftwaffe solle eine Million Zigaretten über die Rote Armee abwerfen, Scharfschützen hätten die Deutschen doch genug. Wie verrückt musste er damals nur gewesen sein. Und wie verrückt war es, jetzt hier zu lauern? Auf eigene Faust.
    Kurt Schmelz streckte sich im Sitzen und ließ seine Kameraden weiterhin schlafen, obwohl er schon viereinhalb Stunden Wache hielt. Er prüfte zum zwölften Mal seine Dienstwaffe, kratzte zum siebten Mal den Schmutz aus dem Stiefelprofil und las zum tausendsten Mal den Haftbefehl gegen Karl und Ilse Koch, den er selbst aufgesetzt hatte und den er nach erfolgreicher Beendigung der Aktion vom obersten Gerichtsherren des Wehrkreises neun, Obergruppenführer Waldeck Pymont, unterschreiben lassen wollte. Ob der ihn im Stich ließ? Doch warum? Wenn Schmelz ihm telefonisch erklärte, ein sofortiger Zugriff wäre wegen Fluchtgefahr unerlässlich, dann würde der Erbprinz ihn schon nicht im Stich lassen. Er durfte nur nicht sagen, dass er diese Fluchtgefahr selbst und mit illegalen Mitteln herbeigeführt hatte. Vier Stunden benötigte Heinze von Weimar bis in

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