Letzte Haut - Roman
bei seinen Vorgesetzten ab? Liebig verstand nicht viel vom Skat, aber dass ein gutes Reizen der halbe Sieg war, das wusste er schon.
Sie hockten nun schon die fünfte Nacht im Gebüsch vor der Villa der Kochs, während an diesem zehnten Juli dreiundvierzig alliierte Truppen auf Sizilien landeten und Mussolini bald darauf entmachtet war. Heinze hatte indes die Post ordnungsgemäß in Leipzig abgeliefert und war sofort zurückgekommen. Zu viert bewachten sie nachts den Eingang zur Villa, jede Minute darauf gefasst, ein Auto zu hören.
Wenn Karl Koch kommt, hatte Schmelz seinen Leuten gesagt, dann nachts. Er wird es bei dem Inhalt dieses Briefes nicht riskieren, hier tagsüber mit wehenden Fahnen einzumarschieren, weil er nicht weiß, was ihn erwartet. Er wird sich erst mit seiner Frau kurzschließen wollen!
Während sie warteten und die Nächte durchmachten, hatten sie Ilse Koch besser kennen gelernt, und schließlich brachte der junge Heinze mit angewidertem Gesicht hervor: „Eine Schlampe hoch drei! Die treibt es ja mit jedem hier!“
Mit jedem, dachte Tarnat, nur nicht mit dir, du armer Teufel! Bist wohl von uns zu früh aus der Totenkopfstandarte abberufen worden? Der alte Tarnat grinste in die Dunkelheit hinein, während Liebig flüsterte: „Ihr Spitzname trifft voll und ganz zu. In den Verhören, die ich bei den Insassen gemacht habe, kam das Gespräch immer wieder auf die ‚rote Hexe von Buchenwald‘. Es gibt einige Aussagen, in denen es darum geht, dass sie die Insassen mit ihren sexuellen Reizen konfrontiert, und wenn diese sich ihr dann nähern, werden sie erst von ihr mit der Reitpeitsche geschlagen und dann befielt sie dem Sommer, der ihr hörig sein muss, die betreffenden Insassen ‚auf der Flucht zu erschießen‘. Sie gibt ihm telefonisch einfach die Insassennummern durch. Eigentlich hat sie hier gar nichts mehr zu sagen, aber sie stolziert hier herum, als gehöre ihr alles, und der Pister, dieser Feigling, der sich nicht mir ihrem Mann anlegen will, der lässt sie machen, was immer sie will!“
„Der Sommer und die Koch: Der Sadist und die Nymphomanin!“, stellte Tarnat fest.
„Da, schon wieder einer! Wer ist das?“, fragte Liebig, und Heinze sagte empört: „Das ist Torschek, ein einfacher Sturmmann aus dem Musikzug. Mehr nicht!“
„Na, der weiß es wenigstens zu schätzen, wenn sie ihm was bläst“, sagte Tarnat, und alle vier Männer lachten unterdrückt auf.
„Jedenfalls verstehe ich, warum der Koch seine liebe Gattin zu Hause gelassen hat“, mischte sich Schmelz leise ins Gespräch ein: „Ein Frau, die es mit allen treibt, die ihm unterstellt sind, also, was Schlimmeres gibt es doch wohl nicht, oder?“
„Nein“, antwortete Heinze sofort: „Wenn ich mir das vorstelle! Am Tage stehe ich vor dem Lagerleiter stramm und will alles nur richtig machen, und in der Nacht stopfe ich seiner Frau die Löcher. Oh Mann! Das Gerücht ging ja um, man kann einfach so bei der Koch klingeln und bekommt dann ein gutes Glas Champagner, aber hätte ich nur gewusst, was in diesem Glas ist, oh Mann, ich wäre doch schon längst einmal hier gewesen! Die braucht es ja wie eine ganze Kompanie von Huren.“
„Da kommt der Nächste! Mann, der muss sogar warten! Ich fasse es nicht“, sagte Liebig und fragte Heinze, ob er eine Freundin habe.
„Freundin? Nein! Ich bin verheiratet!“
„Mit Anfang zwanzig?“
„Ja, und?“
„Nichts und“, sagte Liebig: „Respekt! Schon Kinder?“
„Klar, drei Stück, du nicht?“, fragte Heinze zurück, woraufhin Liebig mit dem Kopf schüttelte.
„Aber eine Freundin?“
„Ja, eine Freundin, die gibt es schon. – Drei Kinder, da hast du ja früh angefangen!“
„Fürs Vaterland! An allen Fronten“, sagte Heinze ernst, woraufhin Tarnat lachen musste.
„Die Kleinen leben aber bei ihren Eltern“, sagte Heinze mit leiser Stimme: „Sie ist Krankenschwester beim Wüstenfuchs.“
Schmelz, der den plötzlichen Ernst in der Stimme des Jungen gehört hatte, meinte, da habe sie ja eine ruhige und ungefährliche Stellung gefunden, wenn sie im Afrikakorps Krankenschwester sei. Da habe sie ja nichts auszustehen.
„Warum?“, fragte Heinze mit großen, klaren Augen, deren Weiß in der Nacht schimmerte.
„Weil das Afrikakorps doch im Mai kapituliert hat. Gefährlich ist es da unten also bestimmt nicht mehr.“
„Stimmt! So habe ich es noch gar nicht gesehen. Aber verdammt heiß ist es dort trotzdem! Wenn ich mir vorstelle, die ganzen Wichser starren
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