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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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die Nähe von Kassel und vier Stunden wieder zurück, und so könnte heute Abend also alles seinen rechten Weg gegangen sein, seinen rechten und vorschriftsmäßigen! Doktor Kurt Schmelz hatte in diesen Tagen eine wichtige Lektion gelernt: Der richtige Zeitpunkt ist immer eine Variable.
    Er steckte den Haftbefehl in die Innentasche, als sein Gesicht sich zu versteinern schien. Schnell schloss er die Uniform, weckte die Untergebenen und bedeutete ihnen sofort mit dem Zeigefinger auf den Lippen, sie mögen still sein, absolut still!
    Tatsächlich, das Geräusch kam näher, wenn auch langsamer, als er geglaubt hatte, das Geräusch von Reifen, die auf Kies rollten. Karl Koch, der alte Fuchs, kam ja geradezu angeschlichen! Schmelz zog langsam die Pistole aus dem Halfter.
    „Wir haben ihn tatsächlich angelockt!“, flüsterte Liebig in dieser Nacht zum elften Juli, während im Raum Kursk die sowjetische Offensive begann, die die Operation Zitadelle beendete, was zugleich das Ende aller deutschen Initiativen im Krieg gegen die Sowjetunion war und die endgültige Kriegswende markierte.
    Die Männer waren zum Sprung bereit, doch noch hielt Schmerz sie zurück. Keine zwei Meter neben ihm rollten zwei weiße Autoreifen mit vergoldeten Radkappen über den Weg. Es war ein weißer BMW. Eine Sonderanfertigung, es war genau das Auto, auf das Schmelz gewartet hatte. Er war sich sicher.
    Während es auf den Vorplatz zurollte, instruierte Schmelz seine Männer ein letztes Mal. Nichts dürfe schief gehen, keiner dürfe entkommen, falls Unbeteiligte auftauchten, würden auch diese festgenommen werden. Liebig und Tarnat auf Ilse Koch, Heinze und er selbst auf Karl Koch. Eine saubere, schnelle und stille Verhaftung! Noch Fragen? Nein? Also dann, auf sein Zeichen.
    Die Männer nickten, durch langsames und betontes Atmen versuchte Liebig seinen Puls unter Kontrolle zu bekommen, aber die tausend Schreckensszenerien, die ihm durch den Kopf schossen, arbeiteten gegen ihn. Er hätte am liebsten geflucht, stattdessen schickte er ein Stoßgebet gen Himmel.
    Der BMW Typ dreihundertachtundzwanzig fuhr langsam auf den Vorplatz, auf dem der Weg endete, drehte eine halbe Runde und kam vor der breiten Eingangstreppe zum Halten. Er stand mit der Front in Fahrtrichtung, der Motor lief noch immer, und plötzlich strahlten die Scheinwerfer auf. Schmelz und seine Männer bückten sich instinktiv tiefer ins Unterholz, einer der Lichtkegel verfehlte sie nur knapp.
    Das Licht erlosch wieder, Karl Koch jedoch stieg nicht aus. Er ließ den Motor weiterlaufen, und ein winziger, rötlicher, jäh aufblitzender Punkt verriet Schmelz, dass Koch im Wagen rauchte. Verdammt! Wenn der noch länger wartete, dann würde Ilse Koch früher oder später aus der Villa kommen, und alles würde auffliegen. Die Aktion musste doch unbedingt innerhalb der Villa stattfinden! Schmelz biss sich auf die Unterlippe, nagte an ihr, versuchte sich zu beruhigen, denn noch war nur das Licht im Badezimmer an. Alle übrigen Räume lagen im Dunkeln. Noch! Doktor Kurt Schmelz hatte plötzlich eine andere Kriegsszene vor sich. Sein Vorgesetzter warf eine Handgranate in eine riesige Scheune, irgendwo in der Ukraine, und seelenruhig warteten sie ab, warteten auf diejenigen, die hustend herauskrochen, bevor sie das Feuer eröffneten.
    „Jetzt?“, flüsterte Heinze aufgeregt. Seine Augen waren riesengroß und leuchteten. Er konnte es kaum erwarten, loszustürzen und Koch auf den Boden zu werfen. Wie gerne hätte er die Koch verhaftet, am besten direkt in der Badewanne! Wäre das nicht eine Gaudi? Breit grinste Obersturmmann Heinze.
    „Nein, warten!“, befahl Schmelz, als die Fahrertür des schneeweißen BMW einen Spaltbreit geöffnet wurde. Die Zigarettenkippe wurde auf eine der Steinstufen geworfen, einen Moment lang blieb die Tür wo sie war, doch dann wurde sie ganz aufgestoßen. Endlich! Schmelz, der die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, ließ die Luft heraus, als er den Mann aussteigen sah. Er sah ihn sich strecken, und ja, tatsächlich, er war es! Standartenführer Karl Koch, einer der mächtigsten Männer des Reichs, stand vor ihnen. Doch noch immer lief der Motor! Schmelz wurde bald wahnsinnig. Was war das für ein ausgebuffter Fuchs. Koch ahne, dass hier etwas faul sei, glaubte Schmelz, aber er wisse nicht, was. Und dieses Unwissen mache ihn so gefährlich. Wenn der nur einem Soldaten etwas zurufen könnte, dann würde die ganze Sache auffliegen, nur ein Schrei in der Stille und die

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