Letzte Haut - Roman
wie primitiv sie doch waren! Tarnat grinste und reichte das Papier mit der getrockneten Tinte Kurt Schmelz.
Schmelz nickte, faltete das Schreiben und steckte es ins vorbereitete Kuvert. Er stempelte den Umschlag persönlich ab, ließ ihn in den offenen Postsack fallen und durchmischte die Briefe darin zur Sicherheit noch einmal. Kurt Schmelz sah zu, wie der Sack verschlossen und verplombt wurde. Er nickte dem Mann zu, der den Sack zum bereitstehenden Fahrer brachte, der kurz darauf aus dem Lager fuhr. Es war Obersturmmann Heinze, der den Wagen fuhr, und Schmelz war sich sicher, dass der Junge sich von niemandem aufhalten lasse, von niemandem und von nichts. So hatte er es ihm eingeschärft, und Heinze hatte schnell verstanden, ohne, wie sonst immer, zu grinsen.
„Damit ist die Sache entschieden“, sagte Schmelz zu Tarnat: „Es gibt kein Zurück mehr.“
„So ist das eben mit Blitzkriegen“, antwortete Tarnat und beide mussten lachen.
Sie mussten den Standartenführer Karl Koch in den Wehrkreis neun locken, denn nur hier war der Erbprinz zu Waldeck Pymont als oberster Gerichtsherr zuständig und konnte ihnen Rückendeckung geben. Sie mussten Koch nach Thüringen, Hessen oder Württemberg bekommen, denn auf den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Obergruppenführer Kaltenbrunner, wollten sie sich nicht verlassen. Ihn und den Prinzen wollte Schmelz informieren, wenn die Verhaftung vollzogen war. Auf diese Weise wollte er sie zwingen, auf seiner Seite zu bleiben, denn nur so konnte Schmelz sich sicher sein, dass sie, mitgefangen, dabeibleiben würden, keine Rückzieher machen und ihn nicht im Regen stehen lassen würden. Doch dazu musste erst einmal die Verhaftung gelingen.
Schlug sie fehl, könnte Karl Koch auch nur einen Anruf machen, oder könnte der Standartenführer auch nur einem Menschen zurufen, er solle Obergruppenführer Pohl informieren, was hier vorgehe, ja, dann wäre es aus mit ihnen! Schmelz bekam einen trocknen Mund. Dann hätte es sie alle ihren Kopf gekostet!
Hätte er Koch hingegen erst einmal in Einzelhaft, dann würde er ihn schon zu einem Geständnis bringen, glaubte Schmelz, aber dazu müsse er ihn erst einmal haben! Und ein Geständnis wäre dann nicht zu widerrufen. Ein Geständnis sei ein Geständnis sei ein Geständnis; immer wieder wiederholte er dieses Mantra, während er mit Tarnat und Liebig von der Poststation aus in seine Dienstwohnung ging.
„Meine Herren“, sagte er dort im Wohnzimmer: „Ich lade Sie auf einen Schnaps ein, der hier überall in den Vitrinen steht. Vielleicht ist es unser letzter! – Suchen Sie sich selbst heraus, was Sie mögen! Ich kenne mich da nicht so aus.“
Tarnat fand eine Karaffe mit schottischem Whisky, während Liebig sich mit zitternden Händen ein Wasserglas mit Wodka füllte und es, ohne zu warten, zur Hälfte austrank. Doktor Kurt Schmelz goss sich einen Kognak ein und hob den Schwenker hoch.
„Wenn Sie gestatten“, sagte Tarnat: „Dann bringe ich einen Toast aus?“
„Aber gerne!“, sagte Schmelz und sah Liebig an, der ihm blass vorkam. Schon wieder! Was war nur mit dem Mann los? Aus was für einer heilen Welt war der nur gefallen? Schmelz schlug Liebig auf die Schulter und sagte: „Kopf hoch! Kopf hoch oder Kopf runter, dazwischen machen wir es gar nicht mehr, was, Liebig?“
„Nein, Obersturmführer, machen wir nicht“, flüsterte Liebig und sah hilfesuchend zu Tarnat, der sich räusperte und mit feierlicher Stimme sagte: „Was keiner weiß, kann nicht verboten sein! Horch, horch!“
„Horch, horch!“, fielen die anderen beiden Männer ein, ehe sie alle drei die Schnäpse auf Ex hinunterkippten, hatten sie ihr Leben doch nun auf eine einzige Karte gesetzt. Karl Koch musste nach der Lektüre des Briefes, den sie gefälscht hatten, heimlich nach Buchenwald kommen. Dieses Ass musste stechen, wenn es auch keine Trumpfkarte war. Er durfte den Braten nicht riechen, er musste glauben, seine Frau verfalle sofort in Panik, würde er die Abreise auch nur eine Minute verzögern. Mehr noch, ging es Liebig durch den Kopf, Karl Koch durfte niemandem das wahre Ziel seiner Reise sagen. Er musste diesbezüglich alle anlügen, sonst würden in seiner Abwesenheit Nachforschungen über seinen Verbleib angestellt werden. Die Erkenntnis, niemand dürfe solange wissen, wo er sich aufhalte, solange er nicht wisse, was ihn bedrohe, musste er ausspielen. Doch warf er diese Karte wirklich? Oder nahm er doch lieber einen Trumpf und sicherte sich
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