Letzte Haut - Roman
mit Ihrem Bericht.“
„Ich habe das System der Unterschlagung eindeutig nachvollziehen können. Es ist im Lager flächendeckend, und wer weiß, vielleicht betrifft es das ganze System der Konzentrationslager, denn warum soll es woanders anders sein?“
„Sie glauben nicht, dass Koch ein Einzelfall ist?“
„Nein, Obergruppenführer. Eindeutig nein.“
„Mist, davon bin ich bisher ausgegangen. Das verkompliziert die Sache natürlich.“
„Auch Glücks als Inspekteur der KL muss davon gewusst haben. Vielleicht sogar Obergruppenführer Pohl persönlich!“
„Na, na, wir wollen mal nicht gleich übertreiben. Haben Sie Zeugen? Sagen Sie schon, Kurt.“
„Noch nicht, die wurden ja bisher alle ermordet! Aber ich bin sicher, ich finde welche. Alle kann er nicht getötet haben, alle bestimmt nicht. Dessen bin ich sicher. – Und irgendwer von der Wachmannschaft, der damals schon hier gewesen war, wird aussagen. Ich bin mir dessen sicher! Absolut sicher! Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort. Sie wissen, ich werde Sie nicht enttäuschen! Sie haben einfach zu viel für mich getan, und ich bewundere Sie, Erbprinz! Ich bin stolz und dankbar, dass Sie mein Mentor sind, dass Sie der Vater für mich sind, den ich nie hatte. Ich enttäusche Sie nicht!“
„Das will ich Ihnen auch raten, Kurt! Sie müssen unbedingt Zeugen finden, damit Sie Koch auch die Morde nachweisen können! Die Unterschlagungen waren also nur der Anfang. Diese Unterschlagungen, gegen so einen Vorwurf kann Koch sich mit irgendwelchen Tricks herauswinden. Vor allem aber mit Pohl hinter sich kann er so etwas noch abwehren, da gibt’s immer Schlupfwinkel, aber Mord! Mord ist Mord! – Schmelz, konzentrieren Sie sich also ab jetzt aufs Aufspüren von Mordbeweisen. – Gute Arbeit, aber nun geht’s erst los! Sie müssen unbedingt auch Mordbeweise finden, verstanden? Unbedingt!“
„Verstanden, Obergruppenführer!“
„Also gut, die Sache läuft und ist nun nicht mehr zu stoppen. Ich informiere jetzt Kaltenbrunner als Chef des Reichssicherheitshauptamtes, und Sie werden dann morgen bestimmt persönlich nach Berlin kommen und Bericht erstatten müssen. Das ist ein Skandal erster Güte! Und das in meinem Oberabschnitt! In meinem! Ich wusste, dass diese Lager nur Ärger machen werden, ich wusste das! – Zum Glück habe ich Sie von der Ostfront zurückgeholt. Sie sind ein aufrechter Kämpfer für die Reinheit in meinem Wehrkreis, Obersturmführer!“
„Ich helfe nur dem Gesetz zu seinem Recht, Obergruppenführer“, sagte Kurt Schmelz.
„Ja, ja! Sicher! Tun wir doch alle! – Die werden in Berlin zwar alle toben, aber nun sind die Tatsachen eben da, was Schmidt?“
„Schmelz, Herr Obergruppenführer.“
„Ja, richtig, Schmelz. Kurt Schmelz. – Nun kann nichts mehr unter den Teppich gekehrt werden. Der Teppich ist raus geschafft und weggebracht worden, zwar schade um ihn, aber es muss eben sein, mein lieber Schmelz. Sie brauchen morgen gute Nerven! Ich kann Ihnen im Jägerhof zwar nicht beistehen, aber ich drücke Ihnen trotzdem alle Daumen. Sie machen das schon, Obersturmführer, Sie machen das schon! Sie sind jung und sie waren schon in der Russlandhölle, mehr muss man gar nicht wissen. Ich baue auf Sie!“
„Wenn Sie gestatten, mit kleinen und präzisen Sprüngen überwindet der Steinbock jeden noch so steilen Gebirgshang“, sagte Kurt Schmelz erleichtert, ehe er den Erbprinzen heiser auflachen hörte. Sein Blatt hatte gestochen! Er blieb in der Runde und hatte seine Position verbessert! Schmelz grinste über beide Wangen.
Sie verabschiedeten sich, legten auf, und Schmelz ließ sich auf eines der Sofas im Wohnzimmer fallen. Gleichzeitig war er aufgekratzt und sehr erschöpft.
Erfolg, ging es ihm durch den Kopf, einzig Erfolg sei die Bestätigung seiner Existenz. So lange auch nur ein Erfolg nach zwanzig Misserfolgen komme, seien diese Misserfolge nicht der Rede wert. Denn was sehe man denn von einem Riesengebirge? Die Täler etwa? Nein, man sehe die Gipfel, immer nur die kalten aber schönen Gipfel.
So oder ähnlich dachte ich damals auf diesem roten Plüschsofa, erinnerte sich der zweiundsiebzigjährige Schmelz in seiner Wohnung in Frankfurt, so dachte ich damals wohl inmitten des Reichtums, von dem ich nie ganz herausgefunden habe, wer genau ihn angesammelt hat. – Glücklich, überglücklich, saß ich da, während zur gleichen Zeit die Rote Armee diese letzte deutsche Großoffensive bei Kursk nicht nur stoppte, sondern die
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