Letzte Haut - Roman
nicht mehr zu löschen. Noch so ein Sieg, und wir sind verloren, dachte er.
Ihm kam Rauch in die Augen, er hustete und dachte: Sie verbrennen es einfach! Sie verbrennen einfach alles! Alles wird einfach verbrannt! Einfach alles! Verbrannt!
Andere Soldaten kamen mit Schläuchen, pumpten und spritzten Wasser, aber wie Zunder brannten das Holz und die Papierstapel nieder; Schmelz winkte ab, schrie noch einmal, die Gegenstände sollen herausgeholt werden, sofort! All die Kostbarkeiten! Die Beweise!
Doch keiner der Soldaten hörte auf ihn. Alle beschäftigten sich mit den Löschgeräten, hantierten scheinbar geschäftig mit ihnen herum, warteten, warteten ab, um sich nicht noch die Hände zu verbrennen. Oder den Kopf, durchfuhr es Tarnat, dem klar wurde, als er die Männer so scheinbar hart und vertieft arbeiten sah, dass sie alle Kochs verlängerter Arm waren, dass sie alle von ihm profitiert hatten, dass keiner von ihnen gegen Koch aussagen würde. Sie waren Koch ergeben! Alle! Und nicht Schmelz! Überhaupt nicht! Nicht einer. Tarnat erkannte die wahre und erschreckende Größe des Mannes, mit dem sie sich angelegt hatten.
„Was ist hier los?“, schrie Lagerkommandant Pister.
„Warum kommen Sie jetzt erst, Sie Feigling!“, schrie Schmelz zurück. Er sah Pister hasserfüllt an, so voll von plötzlichem Hass, dass der Kommandant einen Schritt zurückwich.
„Was ist hier los?“, wiederholte Pister, doch er sah es ja selbst. Schmelz’ Baracke brannte mit allem, was darin war!
„Was verbrennt denn da?“, fragte er, und Schmelz antwortete, sich nur mühsam beherrschend, denn noch musste er ja alles geheim halten, denn noch war ja dieser verdammte Haftbefehl nicht unterschrieben: „Nichts, nichts Wichtiges. – Sie werden mir eine neue Baracke zur Verfügung stellen müssen, eine steinerne.“
Pister nickte, unterdrückte jegliche Mimik, wusste er doch, die Nacht hat tausend Augen und tausend Ohren hat der Tag. Schmelz wolle also etwas verheimlichen, aber was immer es auch sei, es sei nicht zu verheimlichen. Irgendwer habe irgendwas entdeckt, und Pister war sich sicher, auch er werde es bald wissen. Ein Brand war ein Brand. Es sei immerhin ein Brand, meinte Pister und verfolgte Schmelz mit den Augen, der sich abgewand hatte und davonschlich.
Langsam ging Schmelz zurück in seine Wohnung, und nur allmählich kam wieder Farbe in sein Gesicht. Er trug den Blick, er trug ihn trotz allem, er trug ihn und ließ ihn nicht fallen. Ertragend! Damals ertrug ich den Blick auf die Tatsachen, dachte der zweiundsiebzigjährige Schmelz, ich ertrug ihn, während Hitler zur gleichen Zeit die deutschen Offensivpläne im Osten einstellte und die Truppen nach Italien verlagerte, um dieses Land zurückzuerobern, das sich den Alliierten ergeben hatte, die auf Sizilien gelandet waren und Rom bombardierten. Ich ließ ihn nicht fallen, den Blick, ich verengte ihn lediglich, meinen Blick.
Und wie ein Wahnsinniger kratzte sich der alte Schmelz die Haut auf. An den Armen, an Brust und Bauch, er schälte sie sich geradezu vom Rücken, verrenkte sich und versuchte mit zusammengebissenen Zähnen an jede Stelle des Oberkörpers zu kommen.
Wut, eine solche Wut presste ihm die Lippen aufeinander, dass er glaubte, auseinandergerissen zu werden, sobald er den Mund öffnen würde. Eine Detonation, die alles in Stücke reissen würde. Er kratzte sich stumm und zerfetzte sich wild die eigene Haut, doch war sie noch seine? War das denn noch seine Haut, die er da trug? Oder zu was hatte er sich gemacht, als er am Tag nach dem Barackenbrand vor Kaltenbrunner, Pohl und Himmler stand, um ihnen Bericht zu erstatten? War er da noch der große, der edle, der unbestechliche Richter, der für seine Überzeugungen einst eingestanden war, der sich hatte degradieren und an die Ostfront versetzen lassen, um auf das Recht des Gesetzes zu pochen? War er noch unbestechlich, als er stolz und kühl den mächtigsten Männern des damaligen Reiches gegenüberstand und sich ihnen ebenbürtig fühlte? Nein! Ein Nein, das war die Wahrheit.
Er fühlte sich mit den größten Verbrechern ebenbürtig, und er war stolz, mit ihnen in einem Raum zu stehen, oh, wie ihm die Haut bei diesem Gedanken juckte, wie sie ihn wahnsinnig machte! Wie ihn die Haut verrückt machte, die ihm mit dem Denken verbunden schien, die ihn mit dem quälte, was er dachte und was er erinnerte. Wie sehr er sie sich abreißen wollte, wie gern er sich ihrer ganz entledigt hätte! Der alte Kurt Schmelz
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