Letzte Haut - Roman
deutsche Linie durchbrach und somit die Kriegswende einläutete. Operation Zitadelle war innerhalb von zwei Stunden beendet und in Italien nahmen die Alliierten Truppen unaufhörlich Land, aber ich hatte nun den Erbprinzen fest an meiner Seite. Mir war nicht nur Koch ins Netz gegangen, auch der Erbprinz und sogar Kaltenbrunner sollten folgen. Es gibt keinen Gedanken, den man zu groß ansetzen kann. Ich genehmigte mir am Abend einen Kognak, doch keine zehn Minuten später hämmerte es an diesem ereignisreichen zwölften Juli dreiundvierzig wie wild gegen meine Wohnungstür. Wie wild!
VIII
„Herein!“, rief Kurt Schmelz, wobei er sich zusammenreißen musste, um es nicht zu flüstern, mit sich und der Welt völlig zufrieden. Noch einmal, diesmal lauter, rief er: „Herein, wenn es kein Schneider ist!“
„Obersturmführer, die Baracke brennt!“, sagte Tarnat, kaum dass er im Zimmer war: „Die Baracke brennt!“
„Welche Baracke?“, Schmelz sah ihn mit großen Augen an. Er verstand überhaupt nichts. Was kam der Trottel ihm denn jetzt mit Baracken! Barackenbrände, sollten doch die Baracken brennen, was ging das denn ihn an? „Was?“, schrie er plötzlich auf: „Die Baracke brennt?“
„Ja!“, schrie Liebig zurück, Panik in den Augen, der ebenfalls in die Wohnung gekommen war.
Schmelz sprang auf, drängte die beiden zur Seite und schrie sie an, ihm zu folgen.
„Wer war das?“, keuchte er auf dem Weg: „Das gibt’s doch gar nicht! Wer war das?“
Unvermittelt blieb er stehen, Liebig rammte ihn, und Tarnat konnte nur knapp ausweichen. Sie sahen quer übers Lager Fichtenhain hinweg zur Zentralbauleitung, wo Flammen hochschlugen und ein Feuerschein meilenweit zu sehen sein müsse, wie Schmelz meinte, der jetzt erst bemerkte, dass es schon Nacht geworden war. Wie lange hatte er nur auf dem Sofa gesessen und geträumt? Er blickte seine Untergebenen ratlos an.
„Wollen wir nicht hin, Obersturmführer?“, fragte Liebig aufgeregt.
„Ja, sicher“, sagte Schmelz und setzte sich in Bewegung, erst langsam, doch dann, begreifend und wütend, rannte er am Lager Fichtenhain entlang, lief hinter die steinerne Baracke, in der die politische Abteilung untergebracht war, um vor der hölzernen stehenzubleiben, von der schon jedes Brett und jede Bohle Feuer gefangen hatte.
„Die Beweise“, flüsterte Schmelz und dachte an all die Reichtümer aus der Koch’schen Villa, die erst vor ein paar Stunden sichergestellt worden waren und nun ein Raub der Flammen wurden: „Die Beweise!“
Männer der Wachbrigade versuchten, mit Eimern zu löschen, aber Schmelz begriff, diese Schlacht war aussichtslos und verloren. Trotzdem stellte er sich in die Reihe und gab Eimer weiter. Tarnat und Liebig stellten sich ihm an die Seite und reichten ebenfalls Eimer um Eimer weiter. Doch was half das schon? Schmelz starrte ins Feuer, während er mechanisch arbeitete. Was half das schon? Kochs Helfershelfer hatten nicht lange gezögert! Sie hatten gehandelt, sie hatten eine Tatsache geschaffen, eine Tatsache, die mächtiger und größer als seine eigene war. Schmelz bekam plötzlich eine Ahnung, eine klare Vorstellung von dem Mann, den er sich nun zum Feind gemacht hatte. Er ließ einen der Eimer fallen und schrie die Leute der Waffen SS an, sie mögen Gegenstände aus dem Feuer retten, alles, was zu retten sei, raus damit! Die Baracke sei egal, völlig egal!
Die Flammen umkränzten in mehreren Reihen das Gebäude. Es war ein einziger, großer Brandherd. Selbst die umliegende Rasenfläche war versenkt. Die Täter hatten sich nicht die Mühe gemacht, die leeren Benzinkanister zu verstecken. Sie lagen neben der Barackentür, mitten im Feuer, stellte Tarnat nüchtern fest, als habe er ein Tatortprotokoll zu schreiben.
Flammen, die aus den Fenstern stachen, schlugen über dem Dach zusammen, Flämmchen schlängelten sich an den Brettern entlang, die Tür fiel in sich zusammen, schwarzer Qualm ballte sich über dem Licht und verlor sich in der sternklaren Nacht. Plötzlich wirbelten Papierfetzen schwarzgrau durch die Luft, stiegen in die Höhe, schwebten auf den angesengten Boden. Ganze Blätter segelten aus der Baracke, brannten noch in der Luft zusammen und fielen als Staub auf das schwarze Gras. Immer lauter brannte es, immer mehr schwoll das Geräusch an; ein nahes Inferno verkündend, dachte Liebig. Hitze breite sich aus, die auf den Gesichtern brenne, sie rot glühen und glänzen ließe. Hier sei die Nacht hell, dieser Brand sei
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