Letzte Haut - Roman
Koch verhaftet und weggesperrt ist, wäre er uns durch die Lappen gegangen. Mir und Ihnen! Ich dachte, Sie vertrauen mir?“, spielte Schmelz, der jetzt richtig in Fahrt gekommen war, sein Blatt aus: „Sie können sich auf mich verlassen. Sie sind ein Vorbild für mich, das wissen Sie! Ihr Schutz ist mir wichtiger als alles andere! Niemals würde ich leichtfertig vorgehen, niemals! Ich will genau das, was auch Sie wollen: Unsere Organisation säubern, mit eisernem Besen auskehren, das sind doch Ihre Worte, eine reine und ordentliche Schutzstaffel.“
„Na, meinetwegen, ich unterschreibe den Wisch, aber noch einmal passiert mir so etwas nicht, kapiert, Obersturmführer? Noch einmal lasse ich mich nicht so über den Tisch ziehen. – Mann, Sie haben ja Nerven! Sie sind ja eiskalt! – Aber ich baue auf Sie, und Sie wissen, Kurt, ich war es, der Ihnen diese zweite Chance besorgt hat, ohne mich würden Sie jetzt an der Ostfront draufgehen!“
„Ich habe nur im Interesse unserer –.“
„Ja, ja! – Also weiter! Berichten Sie! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Hier stapelt sich der ganze Papiermist, ich hoffe, das hat alles bald ein Ende!“
Doktor Kurt Schmelz fiel ein Stein vom Herzen. Erleichtert atmete er unterdrückt auf und legte sein Blatt auf den Tisch: „Die Villa der Kochs ist also voller Reichtümer. Nichts, was es dort nicht gäbe. Sie werden bald ein Geständnis ablegen. Sie hatten keinerlei Chance, irgendwas verschwinden zu lassen. Sie sitzen in der Falle, die Beweise sind erschlagend. Nach meiner Recherche muss es damals so abgelaufen sein, dass Koch auf drei Wegen unter der Hand verdient hat.
Zum ersten hat er das Eigentum der jüdischen Häftlinge von den Kapos sammeln und in einer privaten Sammelstelle erfassen lassen. Über diese Sammelstelle gibt es keinerlei Akten, es gibt auch keine Listen, als hätten die Juden gar nichts hierhergebracht, und jeder Mitwisser profitierte von Koch, allerdings tauschte Koch die Kapos und Mitwisser jeden Monat aus, sodass sich bald kein Häftling mehr fand, ihm zu helfen. In so einem Monat wurden diese Häftlinge zwar reich, aber nach ihrem Tod wurde ihnen alles wieder abgenommen. Sie konnten es ja nicht aus dem Lager bringen. Dies also erfüllt den Tatbestand der arglistigen Täuschung. Das Töten dieser Mitwisser geschah nicht auf einen Befehl hin, nein, dieses Töten inmitten des befohlenen Massensterbens war persönlich motiviert und damit Mord. Obergruppenführer, es war eindeutig Mord!
Zum zweiten hat Koch die Goldzähne der toten Häftlinge in eigens dafür eingerichteten Goldschmieden, die es offiziell gar nicht gab, zu Barren einschmelzen lassen und auf eigene Rechnung in die Schweiz gebracht. Auch diese Helfer und Helfershelfer wurden später ‚auf der Flucht erschossen‘ oder starben an ‚Herzversagen‘, wie es in den Akten steht. Edelsteine, Perlen etc. hat er aus den Gold- und Silberketten herausbrechen und ebenfalls beiseite schaffen lassen.
Zum dritten hat er den Häftlingen Essen vorenthalten und dieses auf den Wochenmärkten der näheren Umgebung verkaufen lassen. Während die Häftlinge gar nichts mehr an den Knochen haben, wurde Fleisch, Wurst etc. an die zivile Bevölkerung verkauft. Hier findet sich nicht einer, der das offiziell bestätigen will, ganz Weimar hält zusammen, schweigt und kauft, aber wir werden Zeugen auftreiben, keine Sorge, Obergruppenführer, das werden wir.
Zum vierten, entschuldigen Sie, Obergruppenführer Waldeck Pymont, es sind vier Wege, nicht drei, zum vierten hat er die Häftlinge, die nicht in der Kriegsproduktion waren, zu Arbeiten aller Art gezwungen und die Produkte und Erträge daraus in Eigenregie verkauft. Beispielsweise sei hier nur die Gärtnerei genannt, ein riesiges Areal mit Dutzenden von Gewächshäusern, in denen alle Arten von Obst und Gemüse angebaut wurden, bevor das dann alles draußen verkauft wurde, ohne dass die Insassen etwas bekamen. Alles! Die Häftlinge mussten das auch ernten, ohne etwas davon zu sich nehmen zu dürfen. Damals wie heute. Sie haben einen riesigen Hunger, doch wenn sie sich auch nur eine einzige Zwiebel nehmen, werden sie sofort zum Hängepfahl gebracht.“
„Hängepfahl?“
„Eine Art Galgen, der mitten im Häftlingslager steht. An ihm werden Leute an Zehen oder Fingern aufgehängt, bis ihnen diese Körperteile durchs eigene Körpergewicht herausgerissen werden. Eine Art Bestrafung …“
„Von der ich nichts wissen will! Geht mich nichts an! – Weiter
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