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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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losreißen von diesem Anblick. Genau wie Müller ließ er die Szenerie auf sich wirken, sammelte sich jedoch und stellte die Tasse schließlich auf die Untertasse.
    „Gestatten Sie, wenn ich mir Notizen machen?“, fragte Schmelz.
    „Bitte, bitte, aber es ist nicht nötig! – Ich hab vor, Ihnen all meine Akten mitzugeben, falls Sie wollen. Sie werden damit mehr anfangen können als ich“, sagte Müller.
    „Doppelt hält besser.“
    „Auch wieder wahr.“
    Müller stellte ebenfalls die Tasse beiseite, lehnte sich zurück, faltete die Hände, legte sie sich auf den dicken Bauch und ließ den Kopf auf die Lehne fallen.
    Er sah zur Decke, während er sagte: „Also, wo fange ich nur an?“
    „Am besten mit dem Anfang.“
    „Ja, sicher, danke, danke!“
    Während Schmelz einen Stift bereithielt und Papier auf einer Unterlage glattgestrichen hatte, die auf seinen Schenkeln lag, legte Hauptsturmführer Müller ein Bein über das andere und seufzte.
    „Also“, sagte er: „Diese Straßenbaubrigade, die dieser Dirlewanger da anführt, ist weder eine militärische Einheit noch eine der SS, wie ich ja schon am Telefon sagte. Sie tragen zwar Uniform, aber eine Fantasieuniform, an deren Schulterstücke Abzeichen in Form von Handgranaten geheftet sind! Was für eine Idiotie, Handgranaten! Soll nur Angst machen.
    Die ganze Brigade setzt sich aus verurteilten Vergewaltigern und Wilddieben zusammen, die aus den Gefängnissen geholt werden. Es sind etwa tausend Mann, oder ein paar mehr. Jedenfalls konnten sie wählen, ob sie ihre Strafe in den Zuchthäusern ganz absitzen oder unter Dirlewangers Befehl gestellt werden wollten.
    Dirlewanger, der Chef der Brigade, war selbst wegen Kindesmissbrauch vier Jahre lang im Arbeitslager. Er ist der schlimmste von allen, er hat fünfjährige Mädchen, das kann man sich gar nicht vorstellen, fünfjährige Mädchen; Drecksack!
    Eine seiner Einnahmequellen ist das Aufspüren von Juden, die geschächtet haben, was nach deutschem Tierrecht verboten ist. Irgendwo im Wald bei Lublin hat er sich ein Privatgefängnis gebaut, in das er diese Juden einsperrt.
    Er lässt sie erst frei, wenn sie ein Kopfgeld zwischen drei bis siebzehntausend Złoty gezahlt haben. Wen seine Familie nicht freikauft, der wird sofort umgelegt.
    Dirlewanger selbst läuft fast nur betrunken herum. All seine Leute haben eine Heidenangst vor ihm, weil sie doch aus den Gefängnissen und Lagern geholt worden sind, in die sie nicht mehr zurück wollen. Wer nicht spurt, den schickt Dirlewanger zurück, um in den Zuchthäusern die Reststrafe abzusitzen.
    Überall in den Dörfern und Städten fängt er auf offener Straße jüdische und polnische Mädchen ein, vergewaltigt sie und erschießt sie, damit sie nicht aussagen können. Das verlangt er auch von all seinen Männern. Rassenschande wie im alten Rom, ganz offen betreibt der hier Rassenschande, dieses Dreckschwein! – Und wir? – Wir haben Schweizer Schokolade!
    Und nun kommt der Hammer! Darum ist er mir so ein Dorn im Auge, diese Sau, die!
    Selbst deutsche Spitzel, die sich in die Ghettos geschlichen haben, um Erkundigungen einzuholen, selbst Männer meiner guten Gestapo, die Sau, die, lässt er töten, auch wenn sie sich bei ihm, falls er sie weggefangen hat, als Männer der Gestapo zu erkennen geben. Der lässt Geheimpolizisten ermorden, damit sie nicht aussagen können, wo soll das denn hinführen, frage ich, wo soll das denn enden?
    Dirlewanger erschießt aus Angst, aufzufliegen, aber er ist schon längst aufgeflogen, jetzt, wo Sie ja hier sind, Obersturmführer Schmidt!“
    „Schmelz.“
    „Wie?“
    „Obersturmführer Schmelz.“
    „Ach so, na klar! – Der bricht in Ghettos ein, vergewaltigt, plündert, mordet, erpresst, nur eines tut er nicht, Straßen bauen! – Sie müssen diese Drecksau aufspießen, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf. – Meine Männer! – Und ich kann nichts tun. – Sobald ich in dieser Sache aktiv werde, kommt so ein Anruf aus dem Reichssicherheitshauptamt. Oder von Obergruppenführer Berger persönlich, na, den Kerl habe ich ja sowieso gefressen! Und einmal war sogar Pohl dran! Oswald Pohl, hier, an diesem Apparat“, sagte Müller und deutete mit dem Daumen hinter sich zum Schreibtisch, der mächtig und erhaben aussah, wie Schmelz meinte, und überhaupt nicht zu diesem Kleingeist passe. Er räusperte sich und fragte, warum Müller nichts unternehmen könne.
    „Wird mir einfach verboten. Das überschreitet meine Kompetenzen, denn

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