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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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musste sich beim Lachen auf die Schenkel klopfen, während ihm Tränen herausschossen, Ohrenarzt! Und dann! Diese Füße! Ohrenarzt! Was für ein Spaß!
    „Sturmmann Schmelz“, sagte er, als er sich endlich beruhigt hatte und die wütenden Beschimpfungen des Kroaten aufgehört hatten: „Im Zivilen Richter.“
    „Ein Richter? – Auch Scheidungsrecht?“
    „Auch das.“
    „Da hab ich mal eine Frage!“
    „Scharführer, du kannst mir jede Frage stellen! Einem Mann mit so einem guten Humor beantworte ich jede Frage! Ohrenarzt! Ha, ha, Ohrenarzt“, rief Sturmmann Schmelz und wieder wurde er von einem Lachanfall durchgerüttelt, der ins Hysterische münde, wie Scharführer Benn stumm meinte, ehe er den Richter fragte, wie man es denn schaffe, die Ehefrau zu einer Jüdin zu machen, damit man sie mit einer sauberen Scheidung unkompliziert loswerden könne.
    Jäh verstummte Sturmmann Schmelz und starrte den Bayer fassungslos an, der im selben Alter wie er selbst sein müsse, meinte er, ehe er sich vergewisserte, richtig gehört zu haben. Er hatte richtig gehört! Wie man! Wie man zur Jüdin? Endlich verstand er, ein Witz, schon wieder ein Witz! Oh, was für ein schwarzer Witz! Oh je, der war ja so etwas von dreckig hinter den Ohren! Der Ohrenarzt! Sturmmann Schmelz verausgabte sich so beim Lachen, dass er den Befehl zum Sammeln erst überhörte.
    Doch dann erhob er sich mühsam und genauso umständlich wie die anderen Männer und ging, vorsichtig auftretend, zum Divisionskommandanten Steiner, der geduldig wartete, bis sich all seine Soldaten aufgestellt hatten.
    Nachdem Stabsscharführer Hesse die Division schneidig und vorschriftsmäßig zum Appell vorbereiten hatte, schwieg Divisionskommandant Steiner, starrte seinen Männern wild in die Augen, drehte sich plötzlich halb herum und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Berdiansk, das fünf Kilometer östlich von ihnen lag.
    „Da!“, schrie er: „Da hat sich heute Nacht der Feind eingeschlichen! In unsere Stadt! In unser Haus ist er marschiert und hat unsere Familien verschleppt! Da! Dort hat er sich eingenistet, und dort wartet er darauf, mit eisernem Besen ausgekehrt zu werden! Männer! Soldaten! Wikinger! Wollen wir ihm diesen Gefallen tun?“
    Sie wollten! Sie schrien mit der ganzen Kraft der Stimme los, auch wenn nur ein Bruchteil der Division die Worte des Divisionskommandanten Steiner verstanden hatte. Sie schrien das Jawohl, das sie gelernt hatten, das ihnen zum wichtigsten Wort der deutschen Sprache geworden war. Sie brüllten! Sie wollten!
    „Wollen wir ihnen diese Gnade zuteil werden lassen?“
    „Jawohl!“, schrie jetzt auch Sturmmann Schmelz mit, der mit verengten Augen hinüber nach Berdiansk sah, ein Industriezentrum, ein gutes Dutzend Fabrikschornsteine, flache Gebäude, ein kleines Stadtzentrum mit drei und vierstöckigen Bürgerhäusern, meine Stadt, dachte Sturmmann Schmelz und flüsterte: „Meine schöne, meine neue Welt!“
    „Vertreiben wir die Rote Armee aus unseren Gärten und Alleen? Männer, das da, das ist unser Lohn! Verdienen wir ihn uns“, schrie Divisionskommandant Steiner, ehe er die Einheiten zu sechs Trupps zusammenfasste, die von verschiedenen Stellungen aus Berdiansk angreifen sollten. Sturmmann Schmelz hatte Glück, musste seine Einheit doch nicht erst um die halbe Stadt herumlaufen, um sie von Osten her anzugreifen, er konnte direkt von hier aus losstürzen, aber er hätte auch mehr Glück haben können und mit einem der Boote fahren können, auf denen von Süden her Kameraden den Strand erobern sollten. Das wäre ihm am liebsten gewesen! Keinen Schritt mehr zu laufen, einfach ans Ufer zu stürmen, Deckung zu suchen und zu feuern, bis sich nichts mehr rührte im Karton! Das wäre es gewesen! Einfach vom Strand aus draufhalten, bis sich nichts mehr rührte! Sturmmann Schmelz grinste bei dieser Vorstellung abfällig.
    „Bis sich nichts mehr rührt!“, brüllte Rottenführer Grass seine zwanzig Mann an: „Wir feuern dann, bis sich nichts mehr rührt! Wer zurückbleibt, wird erschossen – Schmelz, übersetze!“
    Sturmmann Schmelz wiederholte die Sätze erst auf Französisch, dann auf Holländisch und schließlich auf Englisch und Italienisch, während er sich mit seiner Einheit zum Ansturm fertig machte.
    Zwei Kilometer vor dem Feind legten sie die Ausrüstung ab, steckten sich Munitionsmagazine in sämtliche Taschen, stopften auch welche unter den Gürtel, hängten sich Gewehr und Spaten um, zogen noch einmal den Gurt

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