Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
bekommen hatten. Durch das eingedrungene Regenwasser, den vielen Schweiß und durch die Mengen von Eiter und Blut waren die Fußlappen fest an die Haut geklebt, und als nun die Männer an den Stiefeln zogen, rissen sie auch die Lappen ab und zerrten somit an der aufgeriebenen Haut, die schnell nachgab.
    Der Anblick dieser Füße war widerlich, die Schreie der fassungslosen Männer furchtbar; als kreischten Möwen los, meinte Sturmmann Schmelz, der sich das alles trotz des Ekels ersparen wollte, der auch ihn peinigte, ein Ekel eben, der von den eingesperrten Füßen nach oben gekrochen und sich im Hirn festgesetzt hatte, von wo Sturmmann Schmelz immer wieder angefleht wurde, sich die Stiefel von den Füßen zu reißen, die Füße zu baden und zu trocknen, die Füße zu lüften, ihnen von der reinen Luft etwas zukommen zu lassen, sie hätten es sich schließlich verdient, doch aber nein, Sturmmann Schmelz wollte nicht wahnsinnig werden, er verbot seinem Hirn kurzerhand diesen Sirenengesang. Der Verstand durfte nicht mehr an die Füße denken, ihm wurde von Sturmmann Schmelz befohlen, gefälligst mal die Schnauze zu halten. Stumm befahl er, wollte er doch nicht für irrsinnig gehalten werden. Er müsse sich konzentrieren, er müsse sich aufs Überleben konzentrieren, er müsse wie einst Odysseus am Mast auch ausharren, einzig das zähle, meinte er, einzig am Leben zu bleiben, einzig das zähle. Ob das Hirn kapiert habe? Ja, es hatte verstanden, aber dennoch, die armen Füße, nur einen kurzen Moment Frischluft, nur einen Augenblick lang raus aus dem Altwasser, und plötzlich brüllte der gegen einen Baumstamm gelehnte Sturmmann Schmelz aus voller Kehle: „Schnauze, du verdammter Bastard, halt das Maul, du dämliches Fotzengesicht!“
    Nein, er wollte nicht verrückt werden, er hörte die Möwenschreie der Männer ja, die um ihre gesunden Füße trauerten; Füße, die zu Klumpen geschwollen waren, rote, dicke Klumpen, aus denen die Zehennägel schwarz herausstachen, sofern sie noch nicht abgefallen oder durch den Marsch herausgerissen waren. Wo die Haut weggerissen war, glänzte rötlich das nackte Fleisch, Sehnen waren freigelegt, und Knochen bleichten in der Abendsonne dieses schönen Herbsttages aus. Und gülden floss der Eiter über den Klumpen ab, tropfte in den Erdboden, wo sich das Grün sofort zu senken begann.
    Einem Kamerad von Sturmmann Schmelz war die komplette Sohle des rechten Fußes abgerissen. Hacken und Ballen glänzten fleischlich, und während diesem Mann die Stimme immer mehr zu einer möwenhaften wurde, fragte sich Sturmmann Schmelz, wie der die Schlachten nur überleben sollte, die noch geschlagen werden mussten. Wie sollte der Mann stürmen und töten? Wie sollte er überhaupt auch nur noch einen Schritt tun? Sturmmann Schmelz sah dem herbeigerufenen Sanitäter zu, der dem Kameraden quasi eine zweite Haut verpasste. Sie bestand aus einem in eine Binde gewickelten Lappen Mull, den der Arzthelfer nach dem Desinfizieren dem schreienden und auf Kroatisch fluchenden Mann fest um den Fuß band. Nur schwer konnte der Kroate sich beruhigen, Sturmmann Schmelz grinste bösartig und dachte: Ja, so hast du dir das alles nicht vorgestellt, du Armleuchte, was? Wie kann sich nur einer freiwillig melden? Wie bescheuert muss so ein Spinner überhaupt sein? Sturmmann Schmelz hatte nicht wenig Lust, zu dem Mann zu gehen und ihn ordentlich zu ohrfeigen, links, rechts, links, rechts, bis er endlich zu schreien aufhöre. Links, rechts und eine in die Fresse.
    „Und das soll helfen?“, schrie Sturmmann Schmelz gehässig hinüber, worauf sich der Sanitäter umdrehte, der neben dem Mann hockte, und antwortete: „Amputieren, das hilft!“
    Vom Lachen der beiden irritiert, vergaß der Kroate für ein paar Minuten das Schreien, sah die Kameraden ungläubig an; als wäre er ein Kleinkind, das vergessen hatte, warum es noch heult, stellte Sturmmann Schmelz amüsiert fest. Ach, Scheiße, was für ein guter Witz, Sturmmann Schmelz hätte dem Sanitäter gern auf die Schulter geklopft, aber dazu hätte er aufstehen müssen, und dieses Aufstehen, das war so eine jener Tätigkeiten, die er jetzt auf keinen Fall ausüben wollte, und so rief er lediglich, der Sanitäter habe einen guten Witz gemacht, das hebe die Moral der Truppe.
    „Dazu sind wir da!“, schrie der Sanitäter zurück, der sich kurz darauf vorstellte: „Scharführer Benn, Ohrenarzt im Zivilen.“
    Ohrenarzt? Schon wieder so ein guter Witz! Sturmmann Schmelz

Weitere Kostenlose Bücher