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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Brennholz taugen.
    Ich ging hinauf und läutete. Niemand zu
Hause. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich einen Nachbarn, der gerade seine
Abendzeitung von den Stufen aufhob, und rief: »Wohnt hier Enrique Chavez?«
    »Vater oder Sohn?«
    »Sohn.«
    »Ja, den gibt’s hier noch. Der Alte ist
vor sechs Monaten mit einem Flittchen auf und davon.«
    »Danke.« Ich stieg wieder in meinen MG
und wartete.
    Eine Stunde verging. Der Nebel breitete
sich auf das Festland aus und kroch die Hügel hinter mir hinauf. In den Häusern
ringsum gingen die Lichter an. Es herrschte zwar noch Tageslicht, und man hätte
noch Strom sparen können, aber der Abend kam früh. Im Chavez-Haus blieb es
dunkel.
    Ich starrte durch den Dunst, der sich
auf meiner Windschutzscheibe niederschlug. Das Haus stand in einer kleinen
Senke, in der der Nebel wie unbeweglich lag, genau wie in der Nacht, als Louise
Wingfield und ich nach Seacliff gepilgert waren. Und vielleicht wie in jener
Nacht, als Cordy McKittridge starb...
    Doch an diese Nacht wollte ich jetzt
nicht denken. Ich schob die Bilder beiseite. Aber sie kamen immer wieder. Laut
sagte ich: »Himmel, was ist denn los mit dir?«
    Ich hatte seit Tagen nicht gut
geschlafen. Doch jetzt war es, als gehöre diese Müdigkeit einfach zu meinem
Körper, wie das Blut, das durch seine Adern floß. Innerlich war ich wütend auf
mich selbst, daß ich mich so tief hatte hineinziehen lassen — nein, gib es zu,
hinein verbissen hatte — in diese lange vergangenen Ereignisse, die ich nicht
mehr verhüten oder ändern konnte. Wütend auch wegen der gegenwärtigen
Ereignisse, die mich lehrten, daß die Vergangenheit noch nicht so tot war, wie
ich es gern gesehen hätte. Doch zugleich war diese Wut seltsam gedämpft. Denn
dort, wo meine Nerven offenlagen, also dort, wo ich handelte und entschied, kam
sie nicht hin. Ich war schlicht müde, meine Energien auf unproduktive Gefühle
zu verschwenden.
    Inzwischen war es ganz dunkel geworden.
Bei Chavez war noch immer niemand zu Hause. Ich hatte heute abend noch zuviel
zu tun und konnte nicht mehr warten. Ich fuhr auf der Vierundzwanzigsten Straße
zum Bell Market und rief von einer Telefonzelle All Souls an.
    Ted meldete sich. Er war um zwanzig vor
sieben noch immer im Dienst. »Louise Wingfield hat angerufen«, sagte er. »Der
frühere Besitzer des Unspeakable heißt Jed Mooney. Hier ist die Nummer, unter
der du ihn erreichen kannst.« Er las sie mir vor und fragte dann: »Was ist das
— eine dieser Kotz-Rockgruppen?«
    »Nur ein nicht mehr existierendes Café.
Sonst noch etwas?«
    »Nein. Jack ist oben und konferiert mit
Judy. Ich soll dir, wenn du anrufst, ausrichten, daß du um acht Uhr herkommen
sollst. Strategiesitzung.«
    »Sag ihm, ich versuche es.«
    Ich hängte ein und rief Jed Mooney an.
Er sagte, er freue sich auf ein Gespräch mit mir über »die letzte gute Dekade«
und gab mir seine Adresse in der Einunddreißigsten Avenue in Outer Richmond.
    Auf dem Weg zurück zu meinem Wagen
fragte ich mich, was das wohl für ein Mensch war, der so über die schäbigen,
konformistischen fünfziger Jahre dachte.
     
    Ein Überbleibsel der Beat-Generation —
das war er. Zählebige Hippies kannte ich massenweise. Es gab sie überall. Sie
wohnten in wiederaufgelebten Kommunen in den Bergen oder gingen auch ganz
ordinären Geschäften nach, wie zum Beispiel mein Postbote. Aber einem
übriggebliebenen Beat-Jünger war ich bislang noch nicht begegnet.
    Jed Mooney war über sechzig, groß, sehr
schlank und trug eine Uniform aus anderen Tagen: schwarze Jeans, schwarzen
Sweater, Spitzbart und Bürstenschnitt. Von außen sah sein verputztes Reihenhaus
genauso aus wie die anderen in diesem Block. Aber die Einrichtung war so, wie
ich mir sein ehemaliges Kaffeehaus vorstellte. Die Wände im Wohnzimmer waren
mit vergrößerten Fotos von Ginsberg, Kerouac und Ferlinghetti bepflastert. Aus
der Stereoanlage leierte die seltsam-nasale Stimme eines Folk-Sängers. Gegen
die hereinbrechende Dunkelheit hatte Mooney eine Kerze in einer wachsbetropften
Chianti-Flasche angezündet. Er bot mir ein Sitzkissen an einem niedrigen
Tischchen an und setzte sich gegenüber. Mit den Händen klammerte er sich an die
Teakholztischplatte. »Sie sagten, Sie wollten mit mir über das Unspeakable
reden?«
    »Ja. Soviel ich weiß, gehörte es Ihnen
von...«
    »Zweiundfünfzig bis Sechsundsechzig.
Dann ließ leider das Interesse nach, und ich mußte zumachen.«
    »Es war ein Beat-Lokal?«
    »Zuletzt. Vorher

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