Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
das
mal auszudrücken beliebte. Jeder weiß alles von jedem, Gutes und Schlechtes.
Folglich schuldet jeder jedem mal einen Gefallen.« Sie lehnte sich in ihrem
quietschenden Drehstuhl zurück, sah mich mit festem Blick an und fügte hinzu:
»Sie wollen mit mir über Cordy reden?«
    »Das stimmt. Hat Alison Ihnen gesagt,
warum?«
    »Ja. Es hat mich nicht überrascht.
Joseph Stameroff ist schon seit Wochen wie besessen von dem Scheinprozeß und
von den möglichen Folgen für seine geliebte Adoptivtochter. Leonard Eyestone —
der gegenwärtige Direktor des Institute for North American Studies — ist auch
nicht gerade begeistert darüber.«
    »Sie kennen die beiden?«
    »Sie gehören zu unseren »goldenen
Kreisen»— Leonard per Geburt und Joe aufgrund seines erworbenen Reichtums und
Prestiges. Zwei Beispiele für die nützlichen Verbindungen, von denen Sie
sprachen, und das gilt auch für Judy Benedict.« Sie zögerte. »Offen gesagt, ich
habe nicht gerade Mitgefühl für Judys leibliche Mutter und ihren Fall. Vor
sechsunddreißig Jahren — da war ich gerade zwanzig — hätte ich kein Wort mit
Ihnen darüber gewechselt. Aber seit ich nicht mehr zu den Damen der
Gesellschaft gehöre, habe ich eine Menge gelernt, und diese Erfahrungen lassen
mich die Vergangenheit doch anders sehen. Es sind nicht immer schöne Dinge, die
einem da bewußt werden.«
    »Betrifft das auch Cordy McKittridge?«
    »Cordy und andere. Auch mich selbst
kann ich nicht ausschließen.« Louise Wingfield ließ eine Zigarette aus der
Schachtel auf ihren Schreibtisch gleiten. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Gut. Die wenigen engen Freunde, die
mir aus alten Zeiten geblieben sind, machen alle in Fitneß — für sich selbst
und für alle anderen gleich mit. Vor ein paar Jahren habe ich mal einen Artikel
gelesen, der für diese Art Leute einen wunderbar passenden Begriff geprägt hat
— ›Gesundheits-Nazis‹. Aber in dieser Gegend hier« — sie zeigte in die Runde —
»und in anderen Nachbarschaftshilfezentren meiner Stiftung rauchen alle, die zu
mir kommen, und deswegen fällt es mir schwer, damit aufzuhören. Die
Minderheiten, mit denen ich hier zu tun habe, denken nicht viel über die
Säuberung des Tempels ihrer Seelen nach. Sie sind viel zu sehr damit
beschäftigt, Leib und Seele zusammenzuhalten. Außerdem ist das Rauchen ein eher
kleines Laster, verglichen mit anderen, die es auch noch gibt, und macht doch
eine Menge Spaß.« Sie zündete die Zigarette an, inhalierte und verzog das
Gesicht. »Nicht, daß ich es empfehlen möchte.«
    »Um auf Cordy zurückzukommen...« fing
ich an.
    »Tut mir leid, ich schweife gern zu
Gott und der Welt ab. Ja, Cordy.« Einen Augenblick verengten sich ihre Augen,
und sie schien ihre Erinnerungen zu sortieren. »Wissen Sie, obwohl ich sie und
die damaligen Zeiten heute als das betrachte, was sie waren, empfindet doch ein
Teil von mir so etwas wie... Sympathie dafür. Die frühen Fünfziger...«
    »Erzählen Sie mir davon.«
    Sie lehnte sich noch weiter in ihren
Sessel zurück und rauchte nachdenklich. »Cordy und ich, wir kannten uns schon
seit ewig. Ich war an der Burke allerdings ein paar Klassen vor ihr, und für
Schulkinder machen zwei Jahre einen großen Unterschied. Deswegen waren wir
keine richtigen Freundinnen — bis zu dem Sommer am Ende meines zweiten Collegejahres
in Stanford. Meine Eltern hatten eine kleine Ranch in der Nähe des Sommerhauses
der McKittridges im Napa Valley gekauft. Cordy hatte gerade ihren ersten
Abschluß in Burke hinter sich und widersetzte sich dem Wunsch ihrer Eltern, am
Debütantinnenball teilzunehmen. Auch aufs College wollte sie, trotz all ihrer
Bitten, nicht gehen, nicht einmal einen richtigen High-School-Abschluß wollte
sie machen. Vor dem Debütantinnenball hatte auch ich mich drücken können, und
so unterstützte ich sie. Zum College versuchte ich sie aber zu überreden. Wir
haben in jenem Sommer viel Zeit mit Reiten, Schwimmen und Reden verbracht.«
    Ein schlanker junger Latino mit Akne
und schulterlangem, strähnigem Haar kam an die Tür der Kabine. Louise Wingfield
sah zu ihm hin und winkte dann ungeduldig mit der Hand ab, die die Zigarette
hielt, und zeichnete dabei eine Rauchspur durch die Luft. »Später, Rick.« Er
nickte und ging wieder.
    »Ich war wirklich der Meinung, Cordy
sollte mit ihrer Ausbildung weitermachen «, fuhr sie fort. »Sie war sehr klug,
wenn sie sich auch bemühte, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken

Weitere Kostenlose Bücher