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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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der Kreidelinie, die die
Lage ihres Körpers markierte. Ein Farn war von einer Säule an der Glastür
gefallen. Er war zertrampelt und welk. Ich sah mir die Tür an: Zackige Scherben
ragten aus dem Rahmen, und kleinere Splitter lagen über die Terrakottafliesen
verstreut. Die Kaffeetasse, aus der ich getrunken hatte, stand auf dem Tisch.
Sie war mit Fingerabdruckpulver überpinselt.
    »Die Abdrücke an der Tasse stammen
wahrscheinlich von mir«, sagte ich und zeigte darauf. »Ich war gestern morgen
gegen halb zehn bei ihr und bin etwa eine halbe Stunde geblieben. Haben Sie
einen Hinweis auf die Todeszeit?«
    »Ja, von der Nachbarin rechts, Adele
Skillman. Sie hat den Schuß gehört. Etwa Viertel nach sechs, sagt sie. Kurze
Zeit danach hörte sie jemanden auf dem Weg zwischen den beiden Häusern davonlaufen.«
    Viertel nach sechs. Ich dachte wieder
an Lis, allein und hilflos. Judy war nicht zu erreichen, wußte nichts von der
lähmenden Depression, die ihre Mutter, ausgelöst durch die immer häufigeren
anonymen Anrufe, befallen hatte. Und Jack? Vielleicht hatte er sich nicht
einmal die Mühe gemacht, Lis anzurufen, sondern sich zu Herzen genommen, was
ich gesagt hatte: Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand, der so viele
Jahre im Gefängnis überlebt hat, Judys Heimkehr heute abend nicht überlebt.
    Aber sie hatte nicht überlebt. Und
vielleicht machte mich diese Äußerung in gewisser Hinsicht indirekt
mitverantwortlich. Wo war ich gewesen, als Lis starb? Zu Hause, mit
Joseph Stameroff beschäftigt und mit der Frage, in welche Klemme ich mich und
All Souls gebracht haben mochte.
    Stameroff, ging es mir jetzt durch den
Kopf. Konnte Stameroff etwas damit zu tun haben? Er hatte es nicht eindeutig
verneint, als ich die Vermutung äußerte, daß er für die Schmierereien und die
Anrufe verantwortlich wäre. Konnte das hier die Arbeit eines Profis gewesen
sein?
    Wallace sah mich eindringlich an.
»Stimmt etwas nicht?«
    Ich war noch nicht so weit, Richter
Stameroff schon jetzt ins Gespräch zu bringen, und so sagte ich: »Hab wohl
Schuldgefühle. Sie war meine Klientin, und ich habe sie nicht besonders
gemocht. Wenn dann so etwas einem Menschen passiert, der einem eher
gleichgültig ist, fühlt man sich schuldig, und zwar aus einer Menge
irrationaler Gründe.« Ich sah mir noch einmal die eingeschlagene Glastür an.
»Bart, diese Adele Skillman — sie hat den Schuß gehört, aber nicht das
splitternde Glas?«
    »Stimmt.«
    Das störte mich. Ich hatte da doch
während der scheinbar endlosen Renovierung meines Hauses eine Erfahrung
gemacht. Aber ich kam jetzt nicht darauf. »Was hat sie denn gemacht, als sie
erst den Schuß und dann diese Person laufen hörte?«
    »Nichts. Sie wollte nicht...«
    »Hineingezogen werden.«
    »Genau.«
    Wir schwiegen eine Weile. Dann sagte
Wallace: »Erzählen Sie mir von Ihren Ermittlungen. Stuart hat mir ganz grob den
Rahmen skizziert, und natürlich kenne ich die Geschichte des Opfers. Sagen Sie
mir, was Sie herausgefunden haben.«
    Ich hockte mich auf die Tischkante, und
er lehnte an der Küchenbar, während ich in die Details ging. Als ich zu Ende
war, klappte er sein Notizbuch zu und steckte es in die Innentasche seiner
Jacke. »Das ist schon einiges. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, lassen Sie es
mich auf jeden Fall wissen.«
    Ich zögerte. Die Vorstellung, daß ein
Oberster Richter unseres Landes einen professionellen Killer beauftragte,
mochte weit hergeholt klingen. Doch meine Unterhaltung mit Stameroff hatte
direkt mit Lis Benedicts Versuch zu tun, ihren Namen reinzuwaschen — und dieser
Vorsatz könnte womöglich zu ihrem Tod geführt haben. Hielt ich jetzt
Einzelheiten aus meinem Gespräch mit Stameroff zurück, wäre das eine
Unterdrückung von Beweismaterial. »Bart«, sagte ich, »da ist tatsächlich noch
etwas.« Und dann erzählte ich ihm vom Besuch des Richters in meinem Haus.
    Wallace’ Gesichtsausdruck wurde immer
ernster. Als ich fertig war, schwieg er eine Weile. »Da haben Sie mir ja eine
tolle Suppe eingebrockt, wissen Sie das?«
    »Ja.«
    Er nahm die Brille ab und rieb sich den
Nasenrücken an den Stellen, wo sie tiefe Eindrücke hinterlassen hatte. Mein
Gott, wie ich diese Fälle hasse, die auf politisch empfindliches Terrain
übergreifen! Ich werde mit meinem Lieutenant darüber reden müssen, und der muß
zum Captain gehen... Hören Sie, Sharon, versprechen Sie mir: kein Wort darüber
zu irgendwem!«
    »Natürlich.«
    »Und lassen Sie vorerst

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