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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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der
Stameroff-Kurve nur langsame Fahrt machen darf.« Er brach ab. »Wissen Sie was?
Ich schicke Ihnen die Spurensicherung heraus. Sie soll Fotos machen und
Farbproben nehmen. Vielleicht kriegen wir eine Verbindung zu den Schmierereien
bei den Benedicts. Sind Sie in Ordnung?«
    »Ich habe keine Angst, wenn Sie das
meinen. Mich kotzt es nur an.«
    Wallace schwieg einen Moment. »Sharon,
warum fahren Sie nicht ein paar Tage weg? Das Memorial-Day-Wochenende steht
bevor. Gönnen Sie sich einen kleinen Urlaub.«
    »Warum? Ich bezweifle, daß ich wirklich
in Gefahr schwebe.«
    »Das weiß man nie. Außerdem, wenn Sie
es mit der Kotzerei bekommen, ruiniert mir das meinen Fall.« Er wollte es von
der humorigen Seite nehmen. Doch hinter seinen Worten steckte ernste Besorgnis.
»Denken Sie darüber nach, ja? Hier gibt es für Sie nichts zu tun.«
    »Bart, ich habe auch noch andere
Aufgaben zu erledigen als die Benedict-Sache.«
    »Gut, aber denken Sie trotzdem darüber
nach. Wenn Sie sich entschließen zu fahren, lassen Sie mich nur wissen, wo ich
Sie erreiche.« Abrupt hängte er ein.
    Während ich den Kaffee mahlte, ließ ich
mir Wallace’ Vorschlag durch den Kopf gehen. Wenn ich die Stadt verließe, sähe
es nach Flucht aus. Doch andererseits konnte ich tatsächlich im Fall Benedict
oder wegen der Schmierereien nichts unternehmen. An sonstigen Aufträgen war
nicht viel zu erledigen, und für den nächsten Freitag hatte ich bereits um
Urlaub gebeten. Warum also nicht noch ein paar Tage an das lange Wochenende
dranhängen? Ich könnte in einer anderen Umgebung die Fakten und meine Eindrücke
noch einmal sortieren. Vielleicht würde mir etwas einfallen, das Wallace bei
seinen Ermittlungen weiterhalf.
    Aber konnte ich denn angesichts
dessen, was gerade mit meinem Haus passiert war, überhaupt fortfahren? Was
wäre, wenn der Schmierer wiederkäme und noch kostspieligere Verwüstungen
anrichtete?
    Natürlich konnte ich fahren. Über
Wallace könnte ich um ein paar Extra-Polizeipatrouillen durch meine Straße
bitten. Falls sie den Vandalen schnappten, würde ihm das auch in seinem eigenen
Fall weiterhelfen. Außerdem könnte ich Ted überreden, regelmäßig an meinem Haus
vorbeizufahren und nachzusehen. Er hatte so etwas wie ein Besitzerinteresse an
Ralph und Allie, die ursprünglich seinem Jugendfreund Harry gehört hatten.
Harry war an AIDS gestorben. Ted fütterte die Katzen immer, wenn ich nicht in
der Stadt war. Zudem gab es wachsame Nachbarn wie Will Curley. Ganz bestimmt
konnte ich fahren.
    Und dann gab es noch einen Punkt, der
mir einen kleinen Tapetenwechsel sinnvoll erscheinen ließ: Ich fürchtete
nämlich, daß mir der McKittridge-Mord zur Zwangsvorstellung werden könnte. Im
Augenblick nämlich war der Sog, den dieses so weit zurückliegende Verbrechen
auf mich ausübte, sogar noch stärker geworden. Ich mußte nicht nur die Fakten
und meine Eindrücke sortieren, sondern auch meine Gefühle. Aus der Distanz konnte
ich sie vielleicht wieder unter Kontrolle bekommen.
    Nach der ersten Tasse Kaffee begann ich
mit den Vorbereitungen. Dann rief ich Hy an und sagte, ich müsse für eine Weile
weg. Er hörte mir an, wie ernst es mir war, und ohne weiter zu fragen, sagte
er, in vier Stunden sei er am Oakland Airport. Wir würden über die Sierra
Nevada fliegen und zu den Great White Mountains, wo die Bristlecone-Pinien
wüchsen, die ältesten lebenden Pflanzen der Erde. Wir würden Waipitis
beobachten, wilde Mustangs und Goldadler. Wir würden uns unter dem
sternenübersäten schwarzen Himmel lieben und dem Schweigen lauschen.
    Mir wurde unbehaglich. Ich erinnerte
ihn daran, daß ich die bedrückende Stille der Berge gar nicht mochte.
    Das hege nur daran, daß ich ihr noch
nie richtig zugehört hätte, sagte er. Wenn ich das erst einmal könnte, würden
die Great Whites besänftigend auf mich wirken. Und mir Kraft geben, so daß ich
bei meiner Heimkehr allem wieder ins Auge blicken könnte, was mich aus der
Stadt vertrieben hätte.
    Ich war zwar nicht ganz überzeugt,
stimmte aber zu und fing an zu packen. Mir wurde bewußt, daß ich meine
Vorbereitungen ohne den geringsten Zweifel daran begonnen hatte, daß Hy mich
mit dem Flugzeug abholen würde — genau wie er nicht daran gezweifelt hatte, daß
ich mit ihm in die Great White Mountains fliegen würde.
    In dem Moment wurde mir klar, daß wir
voneinander alles Notwendige wußten. Es mochte weiße und leere Stellen in unser
beider Leben geben, die wir lieber nicht ausfüllen

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