Letzte Instanz
Ich wußte inzwischen, daß
er ein Faible für die Geschichte des Westens und für Romane über dieses Genre
hatte. Er konnte ein Flugzeug fliegen und auch reparieren, er konnte auch
diplomatisch genug sein, um Geld für die Umweltbewegung locker zu machen. Aber
er scheute auch keine Zusammenstöße und führte sich dann, wie ich das einmal
beschrieben hatte, wie eine Kreuzung aus Dschingis-Khan und einem
Kamikaze-Piloten auf. Außerdem konnte er sehr fundiert über Volksmedizin,
Viehhaltung, amerikanische Volkskunst, Meteorologie und antike Feuerwaffen
reden — und das in vier Sprachen. Und jetzt stellte sich heraus, daß er die
Tafel der chemischen Elemente nicht nur gelesen, sondern sich auch gemerkt
hatte.
»Was ist?« fragte er.
»Ich bin beeindruckt.«
»Warum, zum Teufel, McCone, habe ich
das ganze Zeug wohl gelernt? So imponiert man Frauen!« In ernsterem Ton fuhr er
fort: »Weißt du, für einen Sammler können solche Münzen eine bewußte Fälschung
sein, weil sie nicht aus Kupfer sind.«
»Aber sie wurden von der Regierung
geprägt.«
»Ich meine, für einen Puristen. Sammler
können schon sonderbar sein.«
»Das weiß ich allerdings.« Hy war
selbst ein Purist, was seine Sammlung von Westernromanen anging. Er hatte mir
einmal erzählt, für ihn sei eine Erstausgabe erst dann vollständig, wenn sie
noch genau denselben Schutzumschlag habe wie beim Kauf in der Buchhandlung.
»Und deswegen«, fuhr er fort, »könnten
die Münzen auch für Unechtheit stehen. Schließlich noch ein Stückchen
Symbolismus: In der alten Westernzeit legten sie Münzen auf die Augen eines
Toten in dem Aberglauben, daß der, den die offenen Augen eines Toten anguckten,
als nächster sterben mußte.«
»Interessant. Aber was hat das mit
diesem besonderen Fall zu tun?«
»Das wüßte ich gern selber. Du solltest
aber eines bedenken: Die Münzen hatten vielleicht gar nicht diese zentrale
Bedeutung. Dadurch, daß die Cops sich so darauf konzentrierten, haben sie
womöglich etwas anderes übersehen.«
Daran hatte ich auch schon gedacht. »Du
meinst den Ring. Und den fehlenden Finger.«
»Genau.«
»Okay. Dann erklär mir, was das zu bedeuten hat.«
»Also, wenn Lis Benedict tatsächlich
Cordy McKittridge’ Mörderin war, liegt es auf der Hand: Der Ring, das Geschenk
ihres Mannes, mußte wieder herunter von ihrer Hand. Und das geschah am besten
dadurch, daß sie den Finger abhackte, an dem einmal der Trauring hätte stecken
sollen.« Er trank sein Bier aus und lächelte mich an. »Aber wollen wir uns
unsere letzte Nacht hier wirklich mit so einem blutigen Thema verderben? Ich
bin eigentlich viel mehr an physischen als an symbolischen Aktivitäten
interessiert.«
»Ach, wirklich?«
»Hm.«
Als ich näherrückte, warf er die
Flasche in Richtung Müllbehälter. Er traf aber nicht, und das Glas ging mit
einem lauten Knall zu Bruch. Wir fuhren beide hoch und lachten.
»Angst?« flüsterte Hy und zog mich auf
unsere Schlafsäcke.
Irgendwann gegen Morgen wachte ich auf,
in den gesteppten Schlafsack eingerollt. Hys Arm lag schwer auf meiner Brust.
Ich wachte auf aus einem Traum, in dem geschossen worden war. Ich war
Verfolgerin und Verfolgte zugleich. Und in diesem Moment wußte ich, was mich am
Tatort des Mordes an Lis Benedict gestört hatte.
14
Am nächsten Morgen verabschiedete ich
mich von Hy auf dem Nordlandefeld des Oakland Airport. Er wolle nachtanken,
sagte er, und dann nach San Diego weiterfliegen. Im Terminal suchte ich mir
eine Telefonzelle und rief Bart Wallace an.
»Wo haben Sie gesteckt?« wollte er
wissen. »Ich hatte gedacht, Sie würden sich noch mal melden.«
»Ich habe gesagt, ich würde es
versuchen. Wo ich war, steht nicht an jeder Straßenecke eine Telefonzelle — da
gibt es noch nicht einmal Straßenecken.«
»Was hatten Sie denn da verloren?« Bart
war überzeugter Stadtmensch. Er hatte mir einmal gestanden, selbst
Zimmerpflanzen machten ihn nervös. »Es gibt ein paar Dinge, die ich mit Ihnen
durchsprechen möchte«, setzte er hinzu. »Ich habe ein Protokoll aufgesetzt, das
Sie unterschreiben können. Dann sind auch die Laborbefunde zu den Schmierereien
an Ihrem Haus da. Zudem habe ich mir Sorgen um Sie gemacht.«
»Warum?«
Wallace gab keine Antwort. In
Hintergrund hörte ich eine weibliche Stimme. Bart sagte: »Ich bin in drei
Minuten fertig«, dann wieder zu mir. »Sharon? Haben Sie irgendwann heute
vormittag für mich Zeit?«
»Ja. Ich kann zu Ihnen kommen...«
»Treffen wir uns
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