Letzte Instanz
lieber woanders. Wie
wäre es vor Judy Benedicts Haus um elf? Ich muß mir dort noch einiges ansehen,
bevor ich es wieder entsiegele.«
»Gut. Treffen wir uns da.»Auch ich
wollte mir dort eine Menge ansehen.
Bevor ich nach Bernal Heights fuhr,
machte ich einen Abstecher in mein Viertel und sah mir mein Haus an. Die
scheußliche rote Schrift auf den Schindeln leuchtete grell im Morgenlicht, doch
sonst schien alles in Ordnung. Ralph und Allie begrüßen mich an der Eingangstür
und maunzten indigniert nach ihrem Frühstück. »Wie nett, daß ich für euch nicht
mehr bin als ein Zusatzgerät zum Dosenöffner«, ließ ich sie säuerlich wissen.
Ich ging nach hinten in die Küche,
machte ihnen eine Büchse mit diesem gummiartigen Zeug auf, das sie bevorzugten,
und beschwichtigte so die wilden Bestien. Auf der Küchenbar lag ein Zettel von
Ted, er habe das Wochenende hier verbracht, es habe nur einen nächtlichen Anruf
gegeben, aber da habe nur jemand schwer geatmet, weiter nichts. Das konnte
natürlich jede einsame, gequälte Seele in unserer Stadt gewesen sein, dachte
ich mir. Außerdem stand auf dem Zettel, jemand habe wegen der neuen Schindeln
angerufen und schicke einen Kostenvoranschlag.
Ich spielte das Band meines
Anrufbeantworters ab, hörte aber nichts von Bedeutung. Dann rief ich bei All
Souls an. Jack war im Gericht, aber ich erreichte Rae. Einer ihrer Informanten
aus dem Mission District hatte ihr erzählt, Tony Nueva habe am Freitag sehr
plötzlich die Stadt verlassen. Das war interessant, denn ich wußte, daß Tony
selten seinen Stadtteil und noch viel seltener die City verließ. Vielleicht
wußte Buck, der Manager des Videoladens, etwas über seine abrupte Abreise. Ich
würde ihn später aufsuchen.
Wallace’ Zivilfahrzeug bog in die
Einfahrt, als ich meinen Wagen gerade gegenüber von Judys Haus parkte. Als ich
die Straße überquerte, stieg er zusammen mit einer Frau aus. Die Frau war
ungefähr so groß wie ich — eins fünfundsechzig — mit honigbraunem Teint und
dunkelbraunen kurzen, eng am Kopf anliegenden Löckchen. Sie hatte
ausdrucksstarke, angenehme Züge und bewegte sich schwungvoll. Ihre elegant
geschnittene Jacke und die engen Hosen wirkten unerwartet funktionell.
»Sharon, das ist meine Kollegin«, sagte
Wallace und stellte uns vor. »Adahjoslyn, Sharon McCone.«
Von Adah Joslyn hatte ich in der
Zeitung gelesen, aber mir war nicht aufgegangen, daß sie mit Wallace
zusammenarbeitete. Nach nur wenigen Jahren als Inspektorin war sie bereits in
die Eliteabteilung, die Mordkommission, befördert worden — eine Auszeichnung,
die unseren Polizeichef seinem Ziel ein gutes Stück näherbrachte, Frauen und Minderheiten
im Polizeidienst soweit zu fördern, bis ihr Anteil dem der Gesamtbevölkerung
entsprach. Mit Adah Joslyn war das Pressebüro der Polizei auf eine echte
Goldmine gestoßen — und hatte sie weidlich ausgebeutet: Nicht nur, daß sie eine
Frau war, nein, sie war zur Hälfte schwarz und relativ jung und obendrein auch
noch Halbjüdin.
Wir gaben uns die Hand, während wir
einander taxierten, und sagten in einem Atemzug: »Ich habe viel von Ihnen
gehört«, und brachen in schallendes Gelächter aus.
»Ich wußte, daß ihr miteinander
auskommt«, sagte Wallace. Er stieg die Stufen zum Haus hinauf, wo ein gelbes
Plastikband der Polizei die Tür versperrte, zog es ab und schüttelte an einem
Schlüsselbund.
»Wo hält sich Judy Benedict auf?«
fragte ich, während Adah und ich ihm folgten.
»In ihrem Büro im Theater unten in der
Stadt. Bart sagt, sie ist noch immer ganz fertig nach dem Tod ihrer Mutter.
Macht es schwierig, Informationen aus ihr herauszuholen. Und natürlich treibt
sich ihr Vater noch überall herum und gibt sich überfürsorglich.«
»Überfürsorglich oder...«
Wallace sagte: »Heben Sie sich das für
später auf, ich will Adah erst den Tatort zeigen. Sie ist erst heute früh aus
dem Urlaub gekommen und hat sich noch nicht einmal die Protokolle angeschaut.«
In dem kleinen Haus war es kalt. Die
Vorhänge im Vorraum waren zugezogen und tauchten den Raum und den Flur in
Dunkelheit. Wallace führte uns in den Eßbereich, wo Lis getötet worden war. Die
einzige Veränderung seit der Mordnacht war eine Sperrholzplatte, die vor die
zerbrochene Glastür genagelt worden war.
Wallace erklärte Adah die Einzelheiten.
Ich sah beiden eine Zeitlang zu und sagte dann: »Ich bin gleich wieder da.« Ich
ging durch den Flur zurück und zur Tür hinaus. Rechts lief der
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