Letzte Instanz
Zaun direkt am
Haus entlang, aber auf der linken Seite war ein Weg. Dem folgte ich bis zu
einem unverschlossenen Tor, das zur Terrasse mit der Glastür führte. Ich ging
wieder zurück und sah mir das Haus von der Seite an. Auf den Weg hinaus gab es
keine Fenster. In Höhe des Eßbereichs war ein Schuppen angebaut. Ich pochte
gegen die Wand. Das Haus schien solide gebaut und gut isoliert.
Als ich wieder im Zimmer war, zeigte
Wallace gerade auf eine Stelle an der Wand, wo ein Stück Holzverkleidung
entfernt worden war. »Dort hat eine verirrte Kugel gesteckt.«
»Wurden zwei Schüsse abgegeben?«
Die beiden sahen mich überrascht an,
als hätten sie vergessen, daß ich auch noch da war. »Stimmt«, sagte Wallace.
»Lis Benedict wurde nur von einer Kugel getroffen, aber ihre Hände haben
positiv auf den Nitrattest reagiert. Wir nehmen an, Sie hat einen ungezielten
Schuß abgegeben, bevor der Mörder ihr die Waffe abnahm und sie gegen sie
richtete.«
»Interessant.« Ich sah mich um und
entdeckte den Fernseher auf der Küchenbar. »Darf ich etwas ausprobieren?«
»Was?«
»Ich möchte den Ton am Fernseher ein
paar Minuten lang auf maximale Lautstärke drehen.«
Wallace sah mich erstaunt an, sagte
aber: »Bitte sehr.«
Ich schaltete den Apparat ein und lief
wieder nach draußen und hinter das Haus. An keiner Stelle des Weges war er
deutlich zu hören. Als ich zurückkam, hielten sich Wallace und Adah Joslyn die
Ohren zu. Adah sah mich und drückte auch schon den Aus-Knopf.
»Himmel«, sagte sie, »mußte es denn
unbedingt ein Werbespot für Pillsbury Doughboy sein?«
Ich grinste. »Er steht auch auf meiner
Liste ganz oben — zusammen mit Snuggle Bear, Mrs. Butterworth und Orville mit
seinem Enkel.«
Wallace runzelte die Stirn. Er war
offenbar kein Mensch, der ernstlich Anstoß an Fernsehwerbung nahm. »Was sollte
denn nun das Ganze?«
»Sie meinen, warum ich den Fernseher
eingeschaltet habe? Ich wollte wissen, ob ich draußen etwas hören konnte.
Schon, aber nur schwach.«
»Und?«
»Dieses Haus ist gut schallisoliert.
Ein Schuß ist zwar lauter als der Ton eines Fernsehers, doch direkt nebenan
könnte man ihn vielleicht als Fehlzündung eines Autos abgetan haben.«
»Aber die Nachbarin war ganz fest
überzeugt, einen Schuß gehört zu haben. Bedenken Sie, daß die Scheibe
zerbrochen war. Dadurch wurde er hörbar.«
»Haben Sie jemals so eine Tür
zertrümmert?« fragte ich.
Wallace und Joslyn schüttelten den
Kopf.
»Hat einer von euch je in der
Einbruch-Abteilung gearbeitet?«
»Nein«, gaben sie zurück.
»Also, als ich mein Haus renovierte,
ist ein Beamter bei mir gewesen und hat mir Tips gegeben, wie ich mich gegen
Einbrüche schütze. Und wissen Sie, was er mir sagte? Wenn so eine Glastür
zerspringt, klingt das genau wie ein Schuß.«
Sie sahen sich an und dann wieder zu
mir herüber. »Und?« ermunterte Adah mich.
»Ich glaube, der Schuß, den die
Nachbarin hörte — wann war das noch gleich?«
»Viertel nach sechs.«
»Der Schuß, den sie um Viertel nach
sechs hörte, war in Wirklichkeit das Zerspringen der Scheibe.«
»Warum hat sie dann nicht kurz danach
zwei Schüsse gehört? Wenn die Tür eingeschlagen war...«
»Vielleicht hat gar nicht die Person,
die das Glas einschlug, Lis Benedict erschossen.«
Wallace sah mich skeptisch an, sagte
aber: »Und weiter?«
»Angenommen, jemand läutete vorn an der
Eingangstür, aber niemand machte auf. Vielleicht jemand, der mit Lis Benedict
verabredet war und erwartete, daß sie zu Hause war. Also ging er oder sie auf
den Weg hinter das Haus und sah durch die Terrassentür. Lis Benedict lag auf
dem Boden. Die Person schlug die Glastür ein, stellte fest, daß sie tot war,
geriet in Panik und rannte weg.«
Wallace zog einen Stuhl heran und
setzte sich nachdenklich. »Wenn sie vor Viertel nach sechs erschossen wurde,
würde das die Diskrepanz im gerichtsmedizinischen Gutachten erklären.«
»Was für eine Diskrepanz?« fragte ich.
»Den Grad der Leichenstarre — sie war
weiter fortgeschritten, als erwartet.«
Adah Joslyn sagte: »Ich habe den
Bericht zwar noch nicht gelesen, aber die Leichenstarre hängt von der
Außentemperatur ab. Könnte sie nicht durch Wärme beschleunigt worden sein?«
Wallace schüttelte den Kopf. »Die kalte
Luft, die in den etwa fünf Stunden durch die Terrassentür hereindrang, bevor
ihre Tochter sie fand, hätte das verhindert.«
Ich fügte hinzu: »Und auch schon, bevor
die Tür aufgebrochen war, war es kalt
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