Letzte Instanz
Bautista sah mich schweigend an
und streckte dann die Hand nach Geld aus. Komisch und ungelenk rieb sie Daumen
und Zeigefinger aneinander, wie sie es bei ihrem davongerannten Liebhaber
gesehen hatte. Ich seufzte, griff in meine Tasche und reichte ihr einen Zehner.
»Passiert ist«, begann sie und stopfte
den Schein in den V-Ausschnitt ihrer pinkfarbenen Bluse, »daß Tony diesen Plan
hatte. Vor einer Woche hatte er von diesem Kerl, der für irgendwas angeheuert
war, ein paar Dollar bekommen.«
»Sie meinen, einen Mord zu begehen?«
»O Gott, nein!« Linda schlug sich mit
der Hand gegen die Brust. »Nicht so etwas! Nur ein bißchen aufmischen,
verstehen Sie?«
»Und weiter?«
»Jedenfalls hat Tony Mitte letzter
Woche gemerkt, daß da noch eine andere Sache gelaufen war — ein größeres Ding.
Also machte er den Kerl noch einmal an. Und der hat ihm dann das Gedärm aus dem
Leib geprügelt.«
»Dieser Kerl — wer hatte den
angeheuert?«
»Das weiß ich nicht. Tony meinte, es
war irgendein hohes Tier, aber Tony redet viel, wenn der Tag lang ist. Er
wollte beim zweiten Mal das große Geld abkassieren, und dann könnten wir nach
Reno fahren. Und sehen Sie mich jetzt an. Neunzehn Dollar habe ich noch auf dem
Konto, und die nächste Miete ist fällig. Selbst wenn er zurückgekrochen käme
und mir den Hintern küssen würde, würde ich ihn nicht mehr heiraten.«
Hinter dem Trotz in ihren Augen konnte
ich ihre tiefe Enttäuschung lesen. Die Träume, die Tony Nueva ihr zerstört
hatte, waren bescheiden gewesen, aber wahrscheinlich die schönsten, die Linda
Bautista jemals träumen würde. Ich war so dumm, noch einen Zehner aus der Tasche
zu ziehen und ihn ihr zusammen mit meiner Visitenkarte zu geben. »Das ist ein
Vorschuß, Linda. Wenn Sie von Tony hören, holen Sie aus ihm heraus, wo er
steckt, und sagen Sie es mir. Auch wenn Ihnen noch etwas einfällt, das er über
diesen Kerl gesagt hat, aus dem er noch mehr Geld herausholen wollte, rufen Sie
mich an.«
Sie betrachtete die Karte und den
Schein in ihrer Hand, und ihre Finger schlossen sich fest darum. »Sie wollen
ihm doch nichts tun, oder?«
»Nein, ich muß ihm nur ein paar Fragen
stellen.«
»Das ist gut. Tony ist ein Arsch, aber
irgendwie...« Einen Augenblick lang zitterte ihre Unterlippe. Sie bekam sie
wieder unter Kontrolle und fuhr fort: »Ich dachte einfach nur, er ist anders
als die anderen — wissen Sie? Aber er ist genau wie alle. Ich verstehe das
nicht. Ich meine, sehen Sie mich an. Was stimmt denn nicht mit mir?«
Sie stand da auf ihren billigen
pinkfarbenen Plastikabsätzen, fuhr sich mit den Händen über die unecht
glänzenden Locken, über den viel zu grellen Rock und die Bluse und zeichnete
ihre reichlich plumpe Figur nach. Sie hatte sich mit allen Tricks aufgemacht — ein
Opfer des Mythos, daß solche Trugbilder nötig sind, um Männer anzulocken und
einzufangen. Alle Frauen glauben anfangs bis zu einem gewissen Grad an diesen
Mythos, und allzu viele kommen nie darauf, daß eine echte Frau nicht mit
Illusionen handelt — genausowenig, wie ein echter Mann ihr die abkauft.
16
Ich verabschiedete mich von Linda
Bautista, fuhr bei All Souls vorbei und erzählte Jack von meinem Gespräch mit
Bart Wallace und Adah Joslyn. Er glaubte sicher, daß Judy weiter zu den
Vorbereitungen zum Scheinprozeß stand, und versprach mir, für mich eine
Verabredung mit ihr zu treffen. Dann ging ich in mein Büro und rief Rae über
das Haustelefon. Sie kam zu mir herauf, und wir gingen eine halbe Stunde lang
ihre Angelegenheiten durch. Als sie aufstand, fiel mir Jacks Äußerung von
letzter Woche hinsichtlich eines möglichen Diamantrings von Willie Whelan ein.
An ihrer linken Hand war nichts zu entdecken.
»Na, wie geht’s Willie?«
Rae verzog das Gesicht. Ȇber den will
ich lieber nicht reden.«
»Was ist passiert?«
»Ich kann einfach im Augenblick nicht
darüber sprechen, okay?« Vor Wut preßte sie die Lippen zusammen, drehte sich
auf dem Absatz um und rauschte davon.
Noch eine Er-behandelt-mich-schlecht-Geschichte,
dachte ich. Und wieder einmal harte Zeiten für Rae.
Ich packte meine Aktentasche um und
ging hinunter in den Empfang. Ted war nicht an seinem Platz, aber einer der
Anstreicher saß auf seiner Schreibtischkante und quasselte ins Telefon. Ich
warf ihm einen mißbilligenden Blick zu, während ich das Schildchen an meiner
Notizbox umdrehte — so wußte Ted, daß ich außer Haus war. Der Anstreicher
grinste mich nur
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