Letzte Instanz
Kronleuchter aus Gold und Kristall leuchtete auf. In seinem Licht sah
man jetzt den abgewetzten roten Teppich und ebensolche Vorhänge, weiteres Gold
und Kristall und blind gewordene Spiegel an den Wänden. Offenbar war es mit dem
Theater noch nicht aufwärts gegangen, seit Judy es übernommen hatte, dachte
ich.
Sie sah sich um, den Mund abschätzig
verzogen, als sähe sie alles mit meinen Augen. Sie zeigte auf ein altmodisches
Sofa mit rotem Polster und Zierquasten und sagte: »Dort können wir uns
unterhalten. Mein Büro ist ein Chaos, seit ich auch noch darin wohne.«
Wir setzten uns, und sie breitete das
Cape um sich wie ein nistender Vogel seine Federn.
»Haben Sie vor, später wieder in Ihr
Haus zu ziehen?« fragte ich.
»Ich weiß nicht. Im Augenblick neige
ich dazu, es zu verkaufen.«
»Es tut mir leid, daß ich nicht an der
Beerdigung teilnehmen konnte.« Sie hatte am Dienstag stattgefunden, und da war
ich noch oben in den Great Whites.
»Das geht in Ordnung. Es war ein
kleines Begräbnis, so, wie Lis es sich gewünscht hätte — abgesehen von der
Presse natürlich.«
Der Wachmann kam aus dem Haupttrakt des
Theaters zurück, und für einen Moment schollen Stimmengewirr und Hammerschläge
durch die offene Tür.
»Das übliche Pandämonium da hinten«,
sagte Judy.
Ich hatte nicht nachgeschaut, was
draußen angeschlagen war, und deshalb fragte ich: »Läuft Deadfall noch
immer?« Es war ein Kriminalstück, das ich noch sehen wollte. Jack wollte mir
Karten für die Premiere besorgen, aber ich war verhindert gewesen.
»Noch eine Woche. Dann habe ich ein
Psychodrama hereingenommen, das off-Broadway ein enormer Erfolg gewesen ist.«
»Offenbar haben Sie eine glückliche
Hand hier.«
»Das stimmt. Manchmal ist es fast ein
Ausgleich dafür, daß ich als Schauspielerin nicht so reüssiert habe, aber...
Wenn ich auf die Bühne gehe und alle hin und her eilen, dann knistert es vor
Spannung. Ich spüre sie immer noch, wenn ich auch nicht mehr direkt
dazugehöre.« Sie seufzte.
»Aber Sie haben doch eine lange
Karriere als Schauspielerin hinter sich.«
»Wenn man das Schauspielerei nennen
kann, was ich betrieben habe. Jedenfalls habe ich keine Einbrüche erlebt. Ich
bin weiterhin der Meinung, wenn ich einmal mit dem richtigen Stoff eine richtig
gute Vorstellung gegeben hätte, hätte das alles verändert. Vielleicht aber auch
nicht.« Sie blickte einen Augenblick nachdenklich, doch dann wechselte sie
abrupt das Thema. »Sharon, ich möchte mich für das Verhalten meines Vaters
letzte Woche entschuldigen. Jack sagte mir, er hätte Sie zu Hause besucht und
eingeschüchtert. Er... er meint es gut, aber er kann so anmaßend sein.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen.« Sie nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. »Bleibt es bei dem geplanten Scheinprozeß?«
»Mit mehr Nachdruck denn je.«
»Ist Ihr Vater immer noch dagegen?«
»Ja.«
»Macht Ihnen das Probleme?«
»Nicht mehr als früher. Ich werde mit
ihm fertig.« Sie beugte sich zu mir vor und sah mich eindringlich an. Das
Licht, das vom Kronleuchter auf ihre Brillengläser fiel, verstärkte die
Intensität ihres Blicks noch. Ihre Hand packte meinen Arm so fest, daß es fast
weh tat. Wieder erinnerte sie mich an ihre Mutter.
»Ich will diesen Prozeß«, sagte sie.
»Ich will ihn um Lis willen, um ihren Namen reinzuwaschen. Aber ich will ihn
auch für mich selbst. Ich muß das klären, verstehen Sie?«
Ich nickte und entzog meinen Arm ihrem
Griff. »Dann machen wir weiter. Aber ich muß Sie etwas fragen. Bitte, seien Sie
nicht gekränkt.«
»Ich werde mich bemühen.«
»Könnte Ihr Vater — ich meine, Joseph
Stameroff — Ihnen für Ihre Aussage beim Prozeß gegen Lis etwas suggeriert
haben?«
»Er... das hätte er nicht getan.«
»Aber er hätte es gekonnt, oder?
Zum Beispiel, als er Sie vor Beginn des Prozesses in Ihrem Kinderheim
besuchte.«
Sie runzelte die Stirn. Man sah, wie
schwer es ihr wurde, ihre Gereiztheit im Zaum zu halten.
»Denken Sie nach, Judy. Sie sagten, Sie
erinnern sich nicht mehr, was Sie ausgesagt haben, und daß es war, als wären
Sie jemand anders gewesen.«
»Ich habe Ihnen auch gesagt, daß ich
mich an eine Menge anderer Dinge nicht erinnere. Wieviel, das habe ich erst
gemerkt, als die Sache wieder hochkam.« Sie schauderte und zog ihr schwarzes
Cape enger um sich.
»Ist Ihnen seit unserem letzten
Gespräch noch etwas eingefallen?«
»Ja.«
»Sagen Sie es mir.«
»Also... am Tag nach Lis’ Tod... hatte
ich...
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