Letzte Instanz
geistesabwesend an.
Mir war zuvor schon aufgefallen, daß
die Fassade unseres Hauses jetzt annähernd so aussah wie geplant, aber die
Farbe an den Seitenwänden erinnerte immer noch an den Inhalt von Babywindeln.
Hätte sich Hank nur nicht überreden lassen, die Farbe im Billigangebot von
einem pleite gegangenen Laden aus Larry Koslowskis Klientel zu kaufen. Und
hätte dieser Kunde doch bloß nicht auch noch seinen entfernten Vetter für die
Anstreicherarbeiten empfohlen. Hoffentlich stolperte All Souls nicht eher ins
einundzwanzigste Jahrhundert, als festen Schrittes hineinzuschreiten...
Schon im College hatte mir unter
anderem mein höllisches Talent zum Recherchieren manchen Vorteil gebracht.
Während sich andere nur an den Wortlaut ihrer Vorlesungsskripte hielten, saß
ich oft genug in einer Nische unserer Bibliothek, umgeben von Stapeln dicker
Bücher, und füllte unermüdlich Karteikarten mit obskuren Fakten und Zahlen.
Ganze Wochenenden verbrachte ich in der dämmerigen Welt des Mikrofilmraums,
verschlang anscheinend nutzlose Details, die einem weniger besessenen Menschen
total entgangen wären, und tauchte dann seltsamerweise frisch und zufrieden
wieder daraus hervor. Doch diesmal war meine Sucharbeit keine angenehme
intellektuelle Beschäftigung. Die aufgezwungene Tatenlosigkeit machte mich
gereizt. Als ich mich schließlich nervös und mit roten Augen aus der Zentrale
der öffentlichen Bibliothek in das Fünf-Uhr-Gewühl auf der Civic Center Plaza
stürzte, kam ich mir vor wie eine Angehörige der Gattung Maulwurf.
Doch was ich in den letzten paar
Stunden zusammengetragen hatte, war höchst informativ. Da waren zum Beispiel
die Denkfabriken: Es gab sie in allen Variationen von kleinen privaten Forschungs-
und Entwicklungseinrichtungen über nicht-kommerzielle Institute, die zumeist
Universitäten angegliedert waren, bis zu Elite-Unternehmen wie RAND oder das
Institute for North American Studies, die eng mit der Regierung verbunden
waren. Nach meinem Eindruck war ihnen hauptsächlich eines gemeinsam: Sie
produzierten, was Insider als ›Papier-Alchimie‹ zu bezeichnen pflegen — Studien
und Berichte, Auswertungen und Vorschläge zur Politik und zu langfristigen
Planungen, Theorieveröffentlichungen und technische Beschreibungen. Es war
nicht ungewöhnlich, daß das Ergebnis eines ganzen Arbeitsjahres einer
Denkfabrik mit Hundert-Millionen-Dollar-Etat in einer einzigen Aktentasche
Platz fand.
Der ganze Bereich von Forschung und
Entwicklung ist wenig greifbar — man kann ihn nur schwer quantifizieren und
beschreiben. Er beschäftigt einige der intelligentesten und beeindruckendsten
Menschen unseres Landes, und Umfang und Bedeutung ihres Einflusses auf unsere
Regierung lassen sich nur annähernd schätzen. Und wegen dieses Einflusses, vor
allem auf die Führungsschicht im Verteidigungs- und Außenministerium, hat er
auch etwas Unheimliches an sich.
Die Sicherheitsvorkehrungen haben
höchste Geheimhaltungsstufe. Man residiert in streng neutral aussehenden
Gebäuden. Alle Eingänge werden von uniformierten Posten bewacht. Im Innern
finden geheime Konferenzen mit hohen Regierungsvertretern statt. Unterlagen
gibt es nur zur persönlichen Einsichtnahme. Verbindungsstellen sorgen für
schnellen Informationsaustausch. Kurzum, die Denkfabriken bieten noch für die
abgebrühtesten Fans von Spionageromanen jede Menge Stoff. Und wenn man dann
noch ein paar gefährliche Ingredienzien hinzumischt — Alkoholismus, Größenwahn,
abartigen Sex, Psychokram, zweifelhafte Verbindungen —, kommt am Ende das Horrorszenario
für einen apokalyptischen Film heraus.
Angesichts dessen, was ich über das
Institute for North American Studies wußte, jagte mir dieses Szenario
buchstäblich einen Schauer über den Rücken.
Aber meine Nachforschungen hatten mir
nicht nur Stoff für Alpträume geliefert. Ich hatte mir auch angesehen, mit
welchen Aufträgen das Institut zur Zeit des Mordes an Cordy McKittdrigdes
befaßt war: Eindämmungspolitik im Sinne des Kalten Krieges; öffentliche
Unterstützung für den Einsatz atomarer Waffen in begrenzten Kriegen;
biologische Alterationen‹ zu militärischen Zwecken; Vorsorgemaßnahmen zur
Wiederherstellung der Regierungsmacht nach einem atomaren Weltkrieg. John
Foster Dulles’ Besuch in San Francisco hing mit einem auf mehrere Millionen
Dollar dotierten Auftrag des Außenministeriums zusammen: eine umfassende Studie
über die innere Bedrohung der Vereinigten Staaten.
Daraus schloß
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