Letzte Nacht in Twisted River
Danny sie dabei beobachtete. Nach dem Tod des Fischers und Angelus Weggang hatte lange Zeit niemand sie mehr angesehen. Als Dominic und Danny in ihr Leben traten, hatte Carmella eigentlich nichts dagegen, dass der Zwölfjährige sie in ihrer Badewanne in der Küche beobachtete; sie sorgte sich nur, welche Folgen ihr Anblick später für den Jungen haben könnte. (Damit meinte Carmella nicht Dannys
Schriftstellern.)
Viele Menschen waren von dem Namen, den der Schriftsteller Daniel Baciagalupo zu seinem Pseudonym machte, überrascht, erstaunt oder enttäuscht, aber Carmella Del Popolo war darüber zweifellos hoch erfreut. Als nämlich
Familienleben im Coos County
von Danny Angel erschien, war sich Carmella sicher, dass Secondo immer gewusst hatte, dass er ihr Ersatzsohn war - so sicher, wie alle im Vicino di Napoli (allen voran Carmella) wussten, dass niemand ihren innig geliebten, aber verstorbenen Angelù ersetzen konnte.
TEIL III
WINDHAM COUNTY, VERMONT, 1983
7 - Benevento und Avellino
Das Haus war alt und wegen seiner Nähe zum Connecticut River stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Wohnungen darin waren teils ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, wenn auch nicht ausschließlich durch den Fluss; damals in den Sechzigern hatten ein paar Studenten des Windham College eine von ihnen verwüstet. Die ehemals billigen Wohnungen waren mittlerweile etwas teurer. Der Connecticut war saniert worden, wodurch der Ort Brattleboro sehr gewonnen hatte. Die Wohnung des Kochs lag im ersten Stock, im hinteren Teil des in der Main Street gelegenen Hauses, mit Blick auf den Fluss. Morgens ging Dominic meist als Erstes hinunter in sein leeres Restaurant und die verwaiste Küche, um sich einen Espresso zu machen. Auch die Küche lag nach hinten und hatte einen schönen Blick auf den Fluss.
Im Erdgeschoss hatte es schon immer irgendeinen Laden oder ein Restaurant gegeben. Gegenüber befanden sich ein Geschäft mit Militärklamotten und das örtliche Kino, das Latchis Theatre.
Ging man auf der Main Street den Hügel hinunter am Latchis vorbei, kam man zur Canal Street und zum Markt, wo der Koch fast alle seine Einkäufe erledigte. Wenn man von dort in Richtung Ortsausgang weiterging, gelangte man zum Krankenhaus und zu einem Einkaufszentrum, und noch weiter draußen, an der Interstate 91, waren dann mehrere Tankstellen und die üblichen Fast-Food-Restaurants.
Wenn man jedoch auf der Main Street den Hügel hinauf nach Norden ging, kam man zum Book Cellar, einer recht guten Buchhandlung, wo der inzwischen berühmte Schriftsteller Danny Angel die eine oder andere Lesung und etliche Signierstunden abgehalten hatte. Der Koch hatte einige seiner Vermonter Freundinnen im Book Cellar kennengelernt, wo man Dominic Del Popolo, geborener Baciagalupo, als
Mr.
Angel kannte - Vater des gefeierten Romanciers und gleichzeitig Inhaber und Küchenchef des besten italienischen Restaurants weit und breit.
Nachdem Daniel sich für dieses Pseudonym entschieden hatte, musste sich auch Dominic umbenennen.
»Scheiße, vermutlich solltet ihr beide Angels werden, das ist doch klar«, hatte Ketchum gesagt. »Wie der Vater, so der Sohn - mit allem, was dazugehört.« Doch Ketchum hatte darauf bestanden, dass der Koch auch seinen Vornamen ablegte.
»Wie wär's mit
Tony?«,
hatte Danny seinem Vater vorgeschlagen. Es war der 4. Juli 1967, der Unabhängigkeitstag, und Ketchum hätte mit seinem Feuerwerk um ein Haar das Farmhaus in Putney niedergebrannt; der kleine Joe schrie, auch noch fünf Minuten nachdem der letzte Kracher gezündet worden war, wie am Spieß.
Tony klang zwar leidlich italienisch, war aber erfreulich
anonym,
dachte Danny. Dominic seinerseits gefiel der Name, weil er Tony Molinari so gemocht hatte; keine drei Tage nach seinem Weggang aus Boston merkte der Koch bereits, wie sehr ihm Molinari fehlte. Auch Paul Polcari fehlte Tony Angel, vormals Dominic Del Popolo, vormals Baciagalupo - und er hielt weiterhin große Stücke auf ihn, auch nachdem ihm zu Ohren gekommen war, was einen Monat später, im August desselben Sommers, geschehen war.
Tony Angel machte Ketchum und nicht Paul Polcari für das Malheur verantwortlich, dass der Cowboy das Vicino di Napoli lebend verließ. Der arme Paul hätte es unter keinen Umständen fertiggebracht abzudrücken. Es war Ketchums Schuld, fand der Koch, weil Ketchum allen im Restaurant erzählt hatte, es sei egal, wer von ihnen mit dem Gewehr hinten in der Küche stehen würde. Also wirklich! Wer sich
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