Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
fast so sehr, wie ihm Yi-Yiing fehlen würde. Danny würde der Gelegenheit nachtrauern, herauszufinden, wie es wäre, mit der Hongkonger Krankenschwester zusammen zu sein. Doch noch vor seiner Rückkehr nach Vermont schloss er mit etwas anderem ab.
    Als ihr Abenteuer in Iowa zu Ende ging, ging auch - endlich - der Vietnamkrieg zu Ende. Die Stimmung im Mao's war nicht auf einen glücklichen Ausgang eingestellt. »Operation Frequent Wind«, wie man die Evakuierung Saigons durch Hubschrauber nannte (»Operation noch mehr Bockmist« hatte Ketchum sie getauft), wurde zur fatalen Ablenkung während der Essensvorbereitungen in dem asiatisch-französischen Restaurant. Der Fernseher in der kleinen Küche entpuppte sich als Quell allgemeiner Wut.
    Geschäftlich gesehen, war der April 1975 im Mao's ein schlechter Monat gewesen. Vier Mal waren aus fahrenden Autos die Scheiben eingeworfen worden - eines der Wurfgeschosse war ein Betonbrocken von der Größe eines Hohlblocksteins und ein anderes ein Felsklumpen. »Verdammte patriotische Farmer!«, hatte Xiao Dee die Vandalen genannt. Er und der Koch hatten eine Einkaufstour nach New York ausfallen lassen, weil Xiao Dee überzeugt war, das Mao's werde systematisch angegriffen oder - nach dem Fall Saigons - belagert werden. Ah Gou gingen seine Lieblingszutaten aus. (Dank Tony Angels Hilfe gab es auf der Speisekarte ein paar italienische Gerichte mehr als üblich.)
    Den ganzen Sommer über desertierten die südvietnamesischen Soldaten in Scharen. Sie flüchteten samt ihren Familien nach Saigon, weil sie offenbar glaubten, dort würden die Amerikaner ihnen helfen, aus dem Land zu fliehen. In den letzten beiden Aprilwochen hatten die usa mit einer Luftbrücke 60000 Ausländer und Südvietnamesen außer Landes geschafft; weitere Hunderttausende würden bald, auf sich allein gestellt, versuchen müssen zu fliehen. »Das wird das reinste Chaos«, prophezeite Ketchum. (»Was hatten wir denn anderes erwartet?«, sagte der Holzfäller später.)
    Kümmerte
uns überhaupt, was geschehen würde?, dachte Danny. Er und Joe hatten einen eigenen Tisch im Mao's, und Yi-Yiing hatte sich zum Abendessen zu ihnen gesellt. Ihre Schicht in der Notaufnahme hatte sie ausfallen lassen, weil sie erkältet war und die Kranken oder Verletzten nicht noch kränker machen wollte, wie sie Danny und Joe erklärte. »Schließlich werde ich ja schon euch
zwei
anstecken -
und
Paps«, sagte sie lächelnd.
    »Schönen Dank auch«, antwortete Danny. Joe lachte; er vergötterte Yi-Yiing. Später in Vermont würde ihm seine eigene Krankenschwester fehlen. (Und mir wird fehlen, dass ich eine Krankenschwester für ihn habe, dachte Danny.)
    An einem Tisch saßen zwei Paare, drei Geschäftsleute an einem anderen. Für das Mao's war es ein ruhiger Abend, aber es war auch noch früh. Das mit Brettern zugenagelte Fenster verschönerte den Eingangsbereich auch nicht unbedingt, dachte Danny gerade, als eine der Yokohamas mit zitternder Unterlippe aus der Küche kam, das Gesicht so weiß wie ihre Schürze. »Dein Dad sagt, du sollst dir ansehen, was im Fernsehen läuft«, sagte die junge Japanerin. »Der Fernseher ist in der Küche.«
    Danny stand auf, doch als Joe ihn begleiten wollte, sagte Yi-Yiing: »Du bleibst wohl besser bei mir, Joe.«
    »Ja, du bleibst
hierl«,
befahl Sao oder Kaori dem Jungen. »Du darfst das nicht sehen!«
    »Ich will aber sehen, was es ist«, sagte Joe.
    »Tu, was Sao sagt, Joe, ich bin gleich wieder da«, wies ihn sein Dad an.
    »Ich bin Kaori«, sagte der japanische Zwilling zu Danny und brach in Tränen aus. »Wieso hab ich das Gefühl, dass ihr Amerikaner alle >Schlitzaugen< in einen Topf werft?«
    »Was läuft im Fernsehen?«, fragte Yi-Yiing.
    Die beiden Paare hatten über etwas gelacht und Kaoris Ausbruch nicht mitbekommen. Doch die Geschäftsleute waren erstarrt; bei dem Wort
Schlitzaugen
duckten sie sich über ihr Bier.
    Ah Gous kluge Freundin Tzu-Min war an diesem Abend Oberkellnerin. Wegen der steinewerfenden Farmer war Xiao Dee so aufgebracht, dass man ihn nicht bedenkenlos aus der Küche lassen konnte.
    »Geh wieder in die Küche, Kaori«, forderte Tzu-Min das schluchzende Mädchen auf. »Hier draußen wird nicht geschluchzt.«
    »Was läuft im Fernsehen?«, fragte Yi-Yiing sie.
    »Joe sollte es besser nicht sehen«, antwortete ihr Tzu-Min. Danny war schon in der Küche verschwunden.
    Dort war die Hölle los. Xiao Dee schrie den Fernseher an. Sao, die andere japanische Zwillingsschwester,

Weitere Kostenlose Bücher