Letzte Nacht in Twisted River
weiter in Richtung Joes Schule.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Danny. »Wie ist ihr Mann denn so? Ist er ein Gangster?«
»Er ist Chirurg in Korea, hat er mir erzählt«, antwortete Tony Angel. »Eigentlich nimmt Kyung an einem Chirurgenkongress in Chicago teil, hat aber seine Tochter mitgebracht und sich gedacht, er könnte seine Frau überraschen - und Youn ein paar Tage lang auf ihr Töchterchen aufpassen lassen, während er die Konferenz besucht. Ziemliche Überraschung, stimmt's?«
»Er heißt
Kyung?«,
fragte Danny. In dem Buch, das Youn schrieb, hieß der Gangster und Ehemann Jinwoo. Danny vermutete, dass sie sich nicht nur diesen Teil der Geschichte ausgedacht hatte. Und dabei hatte er immer geglaubt, ihr Roman wäre zu autobiographisch!
»Ihr Ehemann macht einen netten Eindruck«, sagte Tony Angel.
»Dann lerne ich also Youns zweijährige Tochter kennen?«, fragte Joe, als er aus dem Wagen stieg.
»Iss etwas«, sagte der Großvater zu seinem Enkel. »Ich habe schon in der Schule angerufen und gesagt, du kommst später.«
»Klingt ganz so, als würdest du das kleine Mädchen
eventuell
kennenlernen, ja«, sagte Danny dem Jungen. »Aber wonach sollst du Ausschau halten?«, fragte er Joe, während der seine Lunchbox öffnete und einen Blick hineinwarf.
»Nach dem blauen Mustang«, antwortete Joe prompt.
»Kluger Junge«, sagte sein Vater.
Erst kurz vor der Court Street eröffnete der Koch seinem Sohn: »Yi-Yiing und ich haben beschlossen, dass ihr beiden euch als Paar ausgeben solltet.«
»Weshalb sollten Yi-Yiing und ich ein
Paar
sein?«, fragte Danny.
»Weil ihr etwa gleich alt seid. Wenn der Ehemann aus Korea in der Nähe ist, solltet ihr einfach so tun, als wärt ihr zusammen. Nicht einmal ein koreanischer Chirurg wird mich verdächtigen, mit seiner Frau zu schlafen«, sagte der Koch. »Ich bin zu alt.«
»Wie sollen wir das machen?«, fragte Danny seinen Dad.
»Überlass das Yi-Yiing«, schlug sein Vater vor.
Im Nachhinein, dachte Danny, war das So-tun-als-ob nicht das Hauptproblem dieser improvisierten Täuschung gewesen. Yi-Yiing gab sich überzeugend als Dannys Freundin aus - aber nur solange Youns Mann sich in dem Haus in der Court Street aufhielt. Für Danny war der Chirurg aus Seoul ein lieber Mann, der zugleich stolz und ein wenig verlegen war, dass er seine Frau, die Schriftstellerin, überrascht hatte. Youn wiederum konnte nicht verhehlen, wie sehr sie sich freute, ihre Tochter Soo wiederzusehen. Die koreanische Schriftstellerin hatte Dannys Blick gesucht in der Erwartung, er würde ihr ein wenig Mut machen, und Danny hoffte, dass es ihm gelungen war. Er war sogar erleichtert, denn er hatte ohnehin schon mit mehr als den üblichen Schuldgefühlen daran gedacht, dass ihre Wege sich bald trennen würden.
Bis zum Semesterende würde er auf jeden Fall in Iowa City bleiben, und er hatte sogar gebeten, den Autorenworkshop noch um ein Jahr verlängern zu dürfen, doch gleichzeitig wusste Danny, dass er wohl nicht so lange in der Stadt bleiben würde, bis Youn ihren Roman beendet hätte. (Und als er später wieder nach Vermont ging, zog Youn tatsächlich, wie er erwartet hatte, zurück nach Seoul.)
Der Chirurg, der nur wenige Tage in Chicago bleiben würde, küsste Frau und Tochter zum Abschied. Alle Vorstellungen und Verabschiedungen waren in der Küche des Hauses in der Court Street erfolgt, wo der Koch sich aufführte, als sei er der Hausherr, und Yi-Yiing hatte sich ein paarmal hinter Danny geschlichen, die Arme um ihn geschlungen und ihn an sich gezogen - einmal hatte sie ihn sogar auf den Nacken geküsst. Da es ein warmer Herbsttag war, hatte der Schriftsteller nur ein T-Shirt und Jeans an und spürte Yi-Yiings seidenen Pyjama an seinem Rücken. Diese Umarmungen sollten eine Vertrautheit zwischen ihnen beiden demonstrieren, vermutete der Schriftsteller, der nicht wusste, welche Schlüsse Youn daraus zog oder ob Yi-Yiing und der Koch die koreanische Ehebrecherin von ihrem Plan unterrichtet hatten, dass Danny und die Hongkonger Krankenschwester sich als Paar ausgeben sollten.
Die Tochter, Soo, war ein kleiner Engel. »Trägt sie denn keine Windeln?«, fragte Danny den Chirurgen, weil er an den zweijährigen Joe zurückdachte.
»Mädchen werden früher sauber als Jungen,
Schatz«,
antwortete Yi-Yiing, wobei sie, wie Danny fand, das Wort Schatz übertrieben betonte - doch der Koch hatte gelacht, genau wie Youn. Später fragte sich Danny, ob vielleicht auch Youn erleichtert
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